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Die Grenze im Kopf - Prägung des Denkens durch das Leben im totalitären System

Im Rahmen der Budapester Gespräche – "Europas innere und äußere "Grenzen" Grenzbetrachtungen aus deutscher und ungarischer Sicht" hielt Frau Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig am 18. Oktober 2012 im Spiegelsaal der Andrássy Universität Budapest (AUB) einen Vortrag über „Die Grenze im Kopf – die Prägung des Denkens durch das Leben im totalitären System“ am Beispiel der DDR.

Die Budapester Gespräche, die an der AUB in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung seit 8 Jahren durchgeführt werden, feierten mit dem Vortrag von Prof. Zehnpfennig, die Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau ist, ihr 20. Jubiläum.

Zehnpfennig betonte in ihrem Vortrag, dass die „Grenze im Kopf“ Menschen weitaus nachhaltiger trennen kann, als jegliche physische Grenze es könnte. So wird auch rund 20 Jahre nach der Vereinigung Deutschlands, die Wende von einigen Bürgern der ehemaligen DDR noch immer als menschlicher und kultureller Abstieg empfunden. Den Gründen dieser Idealisierung der Vergangenheit und Dämonisierung der Gegenwart ging Zehnpfennig im Rahmen ihres Vortrags auf den Grund. Drei zentrale Punkte führte sie als Erklärung dieser Situation an.

Der Zentralismus, der für den Kommunismus kennzeichnend ist, bringt eine Symbiose zwischen Politik und Gesellschaft, Partei und Bürger hervor. Der politische Alleinherrschaftsanspruch und der damit verbundene Anspruch des Systems über die Wahrheit zu verfügen, lässt dem Bürger in einem sozialistischen Staat nur zwei Möglichkeiten: Entweder er erkennt die Lüge des Systems, aber ist gezwungen in ihr zu leben, was in einer zerrissenen Existenz des Bürgers mündet. Oder er glaubt der Ideologie der Partei, was in einem Verbot über bestimmte Fragen nachzudenken resultiert, da alle Fragen bereits von der Partei beantwortet wurden, was wiederum in einer geistigen Stagnation des Individuums endet. Das im pluralistischen System der Bundesrepublik Deutschland um die Wahrheit gerungen wird und jeder Recht auf seinen individuellen Weg besitzt, kam damit für viele Bürger der ehemaligen DDR als Schock.

Die kommunistische Utopie stellt für Zehnpfennig einen weiteren Baustein für die Erklärung der „Grenze im Kopf“ an. Nach der marxistischen Theorie, mussten Herrschaftsinstrumente wie Staat, Rechtssystem, Religion und Familie abgeschafft werden, um die Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse der Gesellschaft zu verändern. Die Unterschiede sollten so weit schwinden, dass der Mensch im Gemeinschaftswesen aufgeht. Diese Kollektivierung der Menschen charakterisiert für Zehnpfennig ein weiteres Problem, dem sich die Bürger der ehemaligen DDR nach der Wende, in der individualistisch geprägten Gesellschaft (West-) Deutschlands stellen mussten.

Die sozialistische Realität war der letzte zentrale Punkt Zehnpfennigs. Das vollkommen politisierte Alltagsleben in der DDR, welches dennoch keine Möglichkeit der Beeinflussung für den Bürger ließ, führte zu einem Ohnmachtsgefühl gegenüber der Politik. Die Unfreiheit des politischen Systems und die damit verbundene Kontrolle und Politisierung der Medien und des Justizsystems durch die Einheitspartei, führte zu einem Misstrauen der DDR-Bürger gegenüber jeglichen Institutionen, welches sich auch nach der Wende widerspiegelte.

Anhand dieser Punkte legte Zehnpfennig dar, dass das sozialistische System in der DDR den Menschen auch von innen ergriff und das Verhalten und Denken der Bürger „erfolgreich“ prägte. Die Umstellungsleistung an das liberale politische System der Bundesrepublik Deutschland nach der Wende, war für die Bürger der ehemaligen DDR daher denkbar schwer, waren sie doch jahrzehntelang die absolute Politik gewöhnt und mussten sich nun auf die Suche nach ihrem individuellen Glück machen.

Zehnpfennig schloss den interessanten Vortrag mit der Feststellung, dass es Generationen dauern kann, bis die innere Grenze im Kopf vieler ehemaliger DDR-Bürger fallengelassen wird und dafür auch intensive Überzeugungsarbeit durch im Westen Deutschlands sozialisierte Bürger geleistet werden muss.

Text: Benjamin Peter

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