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Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen in Ostmitteleuropa?
Interdisziplinäre Tagung

Auch aus Anlass des 10. Jahrestages der EU-Osterweiterung veranstalteten die Professuren für Finanzwissenschaft (Prof. Dr. Martina Eckardt) und für Zivil- und Wirtschaftsrecht (Prof. Dr. Christian Schubel) am 22. und 23. Mai 2014 gemeinsam eine interdisziplinäre Tagung zum Thema „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen in Ostmitteleuropa?“. Juristen und Wirtschaftswissenschaftler von mehreren Budapester Universitäten (AUB, Eötvös Loránd Tudományegyetem, Pázmány Péter Katolikus Egyetem) diskutieren auf der von der Baden-Württemberg Stiftung geförderten Veranstaltung zwei Tage lang mit Referenten aus Deutschland, der Schweiz, Polen, Tschechien sowie der Slowakei die Frage, inwieweit von einem Wett­bewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen ausgegangen werden kann und welche Aspekte in einem solchen Wettbewerb von besonderer Relevanz sein könnten.

Den ersten Tagungstag eröffnete die Sicht der „Anbieter“. In drei Abtei­lungen wurde unter­sucht, inwieweit die Ge­setzgeber der verschiedenen Mitgliedstaaten sich bei aktuellen Neu­kodifikationen oder laufenden Reformarbeiten im GmbH-Recht vom Gedanken eines Wett­bewerbs der Rechtsformen haben leiten lassen. Im Rahmen einer Ein­führung in die Thematik versuchte zunächst Prof. Dr. Christian Schubel (AUB) die Beson­derheiten der gesellschafts­rechtlichen Entwicklung der ostmitteleuropäischen Region heraus­zuarbeiten und die für einen Wettbewerb der Rechtsordnungen relevanten Themenfelder aufzu­fächern. In der Abteilung I ging es dann um die Ausgestaltung des Kapitalschutzsystems. Prof. Dr. András Kisfaludi (ELTE Budapest) diskutierte in seinem Beitrag die sich aus der Einordnung des Gesellschafts­rechts in das neue ungarische Bürgerliche Gesetzbuch (UBGB) für diesen Bereich ergebe­nden Konsequenzen. Prof. Dr. Adam Opalski (Universität Warschau) stellte die weitreichenden Planungen für eine Reform der Finanzverfassung bei der polnischen GmbH vor, die unterdes­sen die Zustimmung der Regierung Polens erfahren haben, und Dr. Jana Duračinská (Come­nius Universität Bratislava) berichtete über „Das Kapital der Kapitalgesellschaften im slowa­kischen Recht“. In der anschließenden Diskussionsrunde informierten zudem längere Beiträge von Dr. Rita Sik-Simon und Daniel Hain, LL.M., (beide Karls-Universität Prag) über die Regelungen des neuen tschechischen Gesetzes für die Handelskorporationen.

Abteilung II beschäftigte sich mit dem Gründungsverfahren, insb. dem damit verbundenen finanziellen und zeitlichen Aufwand. Hier stellte Dr. habil.  Krzysztof Oplustil (Jagiellonen-Universität Krakau) erste Erfahrungen vor, die man in Polen mit einem speziellen Verfahren gesammelt hat („S24-Verfahren“). Dies soll die einfache und kostengünstige Gründung einer GmbH innerhalb von nur 24 Stunden ermöglichen.

Abteilung III richtete den Fokus auf die Bedeutung der Frei­räume für die Ausgestaltung der inneren Organisation der Gesellschaft. Prof. Dr. Zoltán Csehi (Pázmány Universität Budapest) behandelte die Vorschriften des UBGB, die zu einer „Wiedergeburt der Gestaltungsfreiheit im ungarischen Gesellschaftsrecht“ geführt ha­ben. Anschließend untersuchte Dr. Gabriella Dobrin (AUB) die Bedeutung der Gestaltungs­freiheit bei der rumänischen GmbH.

Der zweite Tagungstag analysierte ausführlich die Nachfrageseite, wobei es in der Abteilung IV zunächst um die Erfahrungen von Praktikern mit dem Wettbewerb im Gesellschaftsrecht ging. RA Sebastian Harschnek, BNT Rechtsanwälte Nürnberg, stellte die wichtigsten Kriterien von international tätigen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bei der Rechtsformwahl vor. Eindeutig dominieren dabei Haftungsbeschränkung, Markterschließungskriterien und die Unternehmensstrategie. Anschließend erläuterte Dipl.-Volkswirtin Márta Siklós, Partnerin bei LeitnerLeitner, einer in Budapest tätigen internationalen Wirtschaftsprü­fungs- und Steuerberatungsgesellschaft, anhand von Ungarn anschaulich die Faktoren, die für KMU bei der Standortwahl eine Rolle spielen.

In Abteilung V wurde dann der Zusammen­hang zwischen der Internationalisierung von Unternehmen und dem Wettbewerb der Rechts­formen erörtert. Dr. Helke Drenckhan (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Wintherthur) zeigte in ihrem Beitrag allgemeinere Muster im Verlauf der Internationalisierungsaktivitäten von KMU auf. Prof. Dr. Thomas Ehrmann (Universität Münster) führte in seinem Referat aus, dass die Wahl der Rechtsform für Unternehmen primär dazu dient, Lösungen für die zentralen  Agency-Konflikte (Gläubigerschutz, Haftung sowie Trennung von Eigentümer und Management). Dies ändert sich auch bei internationaler Tätigkeit eines KMU nicht. Dr. Lars Hornuf (LMU Mün­chen) wartete dann in seinem Vortrag mit der These auf, der Regu­lierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht in der EU sei bereits wieder weitestgehend zum Erliegen gekommen.

Die Abteilung VI diskutierte schließlich die Konsequenzen für einen funktionsfähigen Wett­bewerb im Gesellschaftsrecht. Prof. Dr. Martina Eckardt (AUB) thematisierte „Die Bedeu­tung von Intermediären für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs im Gesellschaftsrecht“ und Prof. Dr. Stefan Okruch (AUB) beleuchtete unter dem Titel „Von Nutzen und Nachteil des Wettbewerbs im Gesellschaftsrecht“ die Thematik der Tagung aus konstitutionenökono­mischer Perspektive. Abschließend unternahm es Prof. Dr. Wolfgang Kerber (Universität Marburg), die Diskussion der beiden Konferenztage zusammenzufassen, zu bündeln und in die allgemeinere akademische Erörterung des Regulierungswettbewerbs einzuordnen.

Als Antwort auf die Fragestellung der Konferenz „Gibt es einen Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnung in Ostmitteleuropa?“ ergab sich nach zwei Tagen intensiver Diskussion ein eindeutiges „JEIN“. Einigkeit herrschte, dass die Gesetzgeber der Region sehr wohl das jeweilige nationale Gesellschaftsrecht auch als einen Faktor im Standortwettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmen betrachten. Uneindeutig fiel dagegen die Einschätzung aus, welchen Stellenwert die Rechtsformenwahl für die Unternehmen selbst einnimmt. Einhelligkeit herrschte dagegen bei allen Beteiligten, dass die interdisziplinäre Auseinandersetzung zwischen Rechts- und  Wirtschaftswissenschaften fruchtbare Denkanstöße für die jeweils eigenen Überlegungen ergeben hat. Die Vorträge und Materialien der Tagung werden Ende 2014 im Nomos-Verlag publiziert.

Text: Prof. Dr. Martina Eckardt / Prof. Dr. Christian Schubel

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