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Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht die Welt
Mittel- und Osteuropa spielen traditionell eine wichtige Rolle in der Außenpolitik der großen internationalen Akteure. Welche geopolitische Rolle kann (und will) Mittel- und Osteuropa in der heutigen Welt einnehmen - eine Brücke zwischen Europa und Asien?

“Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht das Herzland. Wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel. Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt.“ So lautet die berühmte Passage aus dem Buch "Democratic Ideals and Reality" des britischen Geographen Halford Mackinder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie wurde auch zu Beginn der Konferenz "Geopolitics in Central and Eastern Europe" vom Leiter des Zentrums für Diplomatie der Andrássy Universität Budapest, Dr. Heinrich Kreft, vorgetragen.

Kreft verdeutlichte den Konferenzteilnehmenden die Bedeutung, die die Region aufgrund ihrer geografischen Lage in der Außenpolitik sowohl der regionalen als auch der globalen Mächte hat. Durch die Staaten Mittel- und Osteuropas führen zahlreiche Verkehrswege, die für praktisch alle Länder des eurasischen Kontinents von strategischer Bedeutung (wenn nicht sogar lebenswichtig) seien, so Kreft. Dies könne auch einige der globalen Entwicklungen in der Region erklären.

Ziel der Konferenz war es, die Positionen verschiedener Parteien zu den Veränderungen in der Region zu beleuchten. Zu diesem Zweck kamen Expertinnen und Experten aus verschiedenen Ländern im Spiegelsaal der  Andrássy Universität Budapest zusammen. 

Das erste Panel der Konferenz hatte die Interessen und Beziehungen verschiedener Akteure zu den ost- und mitteleuropäischen Ländern zum Thema. Maxim Samorukov, Fellow der Carnegie Endowment for International Peace, erläuterte den Standpunkt Russlands. Samorukow wies darauf hin, dass Russland seit Beginn des Krieges unterschiedliche Beziehungen zu Ländern in der Region unterhalte. So decke die Slowakei ihren Bedarf größtenteils mit russischem Gas und erhalte Transiteinnahmen aus dem Transport von russischem Gas durch die Slowakei. In Bulgarien weigere sich der Premierminister, russische Gasimporte in Rubel zu bezahlen, aber andere Parteien seien dagegen. Insgesamt sei jede Zusammenarbeit mit Russland unter den derzeitigen Umständen infrage gestellt. Russlands "Soft Power" sei in der Region bereits begrenzt gewesen, und der Krieg habe sie weiter zerstört, so Samorukov.

Die deutsche Sichtweise wurde von Dr. Stefan Mair, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, dargelegt. Die EU verfüge über mehrere informelle Bündnisse wie die V4-Staaten, Craiova Four, die transatlantische Zusammenarbeit usw. Diese hätten an Bedeutung gewonnen, wären aber insbesondere dann problematisch, wenn sie mehrere Politikbereiche zusammenführten. Dies sei bei den V4-Staaten der Fall. Die derzeitige Krise zeige, wie notwendig es sei, dass die EU eine eigene Sicherheitsstrategie entwickele und mehr Verantwortung im Bereich der Sicherheit übernehme, erklärte Mair.

Prof. Dr. Hüseyin Bağcı, Präsident des Instituts für Außenpolitik in Ankara, erläuterte die Sichtweise der Türkei. Bağcı bezeichnete die Länder Türkei, Russland und Deutschland als "Bermudadreieck". Alle Länder dazwischen seien von den Beziehungen zu diesen Ländern abhängig, sodass Russland, Deutschland/EU und die Türkei ständige Machtzentren seien. Ihre internationale Rolle sei entscheidend und ihre geopolitische Position überschatte die Kritik an Demokratie und Freiheit. Es sei wichtig, dass die Türkei zur EU stehe (hierbei sei nicht zu vergessen, dass die Türkei Mitglied der NATO ist). Die (leider unrealistische) EU-Mitgliedschaft sei zwar kein Hauptziel der Türkei, aber die Türkei bleibe in Europa, betonte Bağcı. Derzeit finde auch keine grundlegende Veränderung der türkischen Politik gegenüber Russland statt.

Dr. Lirong Liu, Dozentin an der Fudan-Universität in Shanghai, teilte die Beziehungen Chinas zu den mittel- und osteuropäischen Staaten in drei Perioden ein. In der ersten Periode von 1949 bis 1989 seien die Beziehungen im Rahmen des sozialistischen Blocks gepflegt worden. Von 1990 bis 2012, der zweiten Periode, seien die Beziehungen von der Annäherung und dem Beitritt mittel- und osteuropäischer Staaten an die EU geprägt gewesen. Seit 2012 schließlich stehe die "17+1-Initiative" im Vordergrund. Der Schwerpunkt liege nun auf wirtschaftlicher, regionaler und multilateraler Zusammenarbeit. Obwohl die Zusammenarbeit mit den MOE-Ländern zunehme, seien die chinesischen Direktinvestitionen im Vereinigten Königreich, in Deutschland und Italien wesentlich höher, erklärte Liu.

In der zweiten Podiumsdiskussion wurden die Ansichten einiger Länder der Region vorgestellt. Die ehemalige serbische Ministerpräsidentin für europäische Integration, Suzana Grubješić, sagte mit Blick auf die westlichen Balkanländer, die EU verliere an Einfluss in der Region, der von externen Akteuren wie Russland, China und der Türkei eingenommen werde. China investiere aktiv in der Region, und es sei schwierig, eine klare Bewertung dieser Maßnahmen vorzunehmen - China als Chance oder als Bedrohung anzusehen - was wahrscheinlich ein und dasselbe sei.

Alena Kudzko, Direktorin des GLOBSEC Policy Institute in Bratislava, erläuterte die Position der Länder der Visegrád-Gruppe. Ungarn sei in vielen Punkten anderer Meinung als die Slowakei, die Tschechische Republik und Polen. Auch darüber hinaus gebe es Meinungsverschiedenheiten in der V4-Gruppe. Sie sei eben eher eine pragmatische als eine konsensorientierte Gruppe. "Wir sprechen über Themen, die uns verbinden", folglich werde nicht über Putin, Russland oder andere Themen gesprochen, zu denen es unterschiedliche Meinungen gebe - Sympathien für Russland seien ein Streitpunkt. Ungarns Position innerhalb der EU finde in der V4-Gruppe, insbesondere in der Slowakei, keine Mehrheit. Alle V4-Länder bemühen sich derzeit um den Aufbau besserer Beziehungen zum Vereinigten Königreich. 

Der Krieg in der Ukraine berühre viele regionale und innenpolitische Fragen, die Wahlen in der Slowakei und der Tschechischen Republik wären ganz anders ausgegangen, wenn sie heute stattgefunden hätten, und es sei wichtig, dass die Regierungen in erster Linie wirtschaftliche Fragen angehen. Der Direktor des Expertenforums (EFOR) Dr. Sorin Ioniță aus Bukarest sprach über die südosteuropäische Perspektive. Beim Krieg in der Ukraine gehe es nicht um eine NATO-Erweiterung, sondern es sei ein ideologischer Krieg um Europäisierung, westliche Werte usw. Südosteuropa lasse sich nicht auf Putins Erzählungen ein, doch die Länder hätten Angst. Einige Probleme seien gelöst worden, es gebe wichtige Fortschritte, aber eben auch immer noch viele Kämpfe. Die Schwierigkeiten, mit Russland hätten mit der kolonialen Macht der Sowjetunion zu tun, erklärte Ioniță, eine kontinuierliche Linie der Expansion in der Außenpolitik habe sich seit der zaristischen Ära durchgezogen. China hingegen zeige kein großes Interesse an der Region; anfangs habe es hohe Erwartungen gegeben, letztlich habe sich das chinesische Engagement jedoch kaum in den Wirtschaftsstatistiken niedergeschlagen.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion unter der Leitfrage "Was bedeutet der russische Angriff auf die Ukraine für Mittel- und Osteuropa?" waren sich die meisten Teilnehmenden einig, dass die NATO keineswegs “hirntot” sei, wie kürzlich noch vertreten wurde, sondern wieder eine ähnliche Rolle wie zu Zeiten des Kalten Krieges übernehme. Auch die EU sei sehr wohl in der Lage, mit externen Herausforderungen umzugehen, aber interne Meinungsverschiedenheiten und interne Probleme seien schwieriger zu bewältigen. Die Art der politischen Probleme hat sich mit der Zäsur am 24. Februar 2022 schlagartig geändert.

Schilan STACH | Lisa STOFFERS | Eldaniz GUSSEINOV

Die Konferenz wurde mit der freundlichen Unterstützung des Europabüros der Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert. Den Mitschnitt der der Konferenz finden Sie hier: Tag 1 und Tag 2.

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