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Vom Zeug zum Zeugnis
Fakultät für Mitteleuropäische Studien

Die Fakultät für Mitteleuropäische Studien (MES) und das Österreichische Kulturforum Budapest (ÖKF) luden am Donnerstag, den 9. Mai 2013 in der ÖKF- Bibliothek  ein zum Vortrag von PD Dr. Mona Körte „Vom Zeug zum Zeugnis. Die Überwertigkeit von Objekten im Kindheitsexil”.

PD Mona Körte ist Germanistin/ Komparatistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin, sowie Lehrbeauftragte am Zentrum für Jüdische Studien der Karl- Franzens- Universität in Graz, wo sie 2012 auch die Kurt- David- Brühl- Gastprofessur innehatte.

Der Vortrag wurde mit Begrüßungsworten von Dr. Susanne Bachfischer, Direktorin des Österreichischen Kulturforums, sowie von Prof. Dr. Georg Kastner, Dekan der Fakultät MES, eröffnet.

„Ein zusammengefaltetes Handtuch mit den Initialen M.K.”; das war das letzte Geschenk Margarete Kuttners an ihren Sohn Paul Kuttner vor seinem Transport nach England. Für ihn war das Handtuch das einzige Objekt, das ihn an seine Mutter erinnerte. Margarete Kuttner wurde eines der vielen Ausschwitzopfer. Es ist ein Objekt des letzten Augenblickes. Tausende jüdische Kinder aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei wurden mit dem „Kindertransport” (Denkmal von Frank Meisler vor der Liverpool Street Station), einer beispiellosen Rettungsaktion zwischen 1938 und 1939, nach England gebracht.

Im Mittelpunkt des Vortrages von Mona Körte stehen Formen der Aufzeichnung der Kinder. Es war eine plötzliche Abreise nach England und die mitgebrachten Objekte der Eltern bekamen Vermittlerrolle. Ihr geliebter Gegenständ nahm eine symbolische Funktion ein und bildete ein Bindeglied zu den Eltern. Im tieferen Sinne war es eine Klammer der Ereignisse, in der komplexe Themen erfasst wurden. Die Geschenke gingen mit den Kindern auf Reisen und bildeten eine rationalisierende Stimme der Erwachsenen. Der Abschied der Eltern gab den Erinngerungsstücken großen Wert. Mona Körte erwähnte u.a. die Schachtel mit Erinnerungsstücken von Liese Glas (1918–2003). Diese Sammlung stellt ihr ehemaliges Leben dar. Die Dinge verändern ihre Bedeutung, werden zum memento mori, ersetzen den Grabstein, da viele der Kinder nie erfuhren, wann und wie ihre Familienmitglieder verstorben sind. Das Objekt wird zum „Werkzeug der Trauer”.

Im Bereich der literarischen Verarbeitung bilden die realen und gefundenen Indizien, ein Material von bleibender Sprache und dem Sprechen der Kinder mit Erinnerungen ans frühere Ich, in denen bestimmte Momente betont werden. Mona Körte erwähnte auch den Roman „Austerlitz”: Jacques Austerlitz kommt als kleiner Junge durch den Kindertransport zu einer Londoner Ziehfamilie. Später merkt er, wie wenig er über sich weiß und welche Probleme er mit seiner Erfahrung hat. Austerlitz macht sich auf die Suche; findet in Prag sein Kindermädchen wieder, aber die Spuren zur Mutter oder zum Vater bleiben unergründbar. In seinem Rucksack wird eine Inkorporation von Lebensspuren aufbewahrt; eine Art Depot von Gewichten. Es herrscht eine Kontinuität der Objekte von der Zeit seines Lebens vor und dem Leben nach dem Transport. Diese bildet eine Verbindung zu den verstorbenen Eltern. Der Verlust und die Vernichtung der Erinnerungsobjekte ist kein natürlicher Wechsel.

Am Schluss sprach Mona Körte über die schwierige Bedeutung und Deutung der Dinge. Diese unentbehrlichen Erinnerungsobjekte, in denen ganze Themenkomplexe enthalten sind, haben aber noch keinen Platz in der Psychologie persönlicher Dinge erhalten.

Text: Madeleine Kohl

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