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Vergleich der ungarischen Verfassung mit dem neuen Grundgesetz
Am 13.11.2012 hielt der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Dr. János Zlinszky im Andrássy-Saal der AUB einen Vortrag zum Thema "Vergleich der ehemaligen ungarischen Verfassung mit dem neuen Grundgesetz".

In seinem Vortrag griff Prof. Zlinszky auf den reichen Wissens- und Erfahrungsschatz seiner dreißigjährigen Karriere als Hochschullehrer und seiner Arbeit als einer der ersten Verfassungsrichter Ungarns zurück.

Im ersten Teil seines Vortrags betonte Prof. Zlinszky die langjährige Tradition der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn, deren Wurzeln er bis auf die Zeit Stephans I. zurückführte. Den Kern der frühen ungarischen Rechtsstaatlichkeit identifizierte Prof. Zlinszky darin, dass Herrscher sich dem Recht unterordneten. Als Beispiel nannte Prof. Zlinszky den langen Bestand der goldenen Bulle von 1222, deren Rechtssätze auch nach mehreren Machtwechseln erhalten blieben. „Der Herrscher wechselt, die etablierte Ordnung bleibt – das ist der Rechtsstaat“, fasste Prof. Zlinszky seine historischen Betrachtungen zusammen. Laut Prof. Zlinszky existierte die ungarische Tradition der Machtteilung zwischen Staat und Volk ungebrochen bis zum ersten Weltkrieg. In der Zeit des Sowjetsystems gab es dahingegen keine Rechtsstaatlichkeit – das Recht war vielmehr eine Waffe der Herrschenden, um die Diktatur durchzusetzen. Erst der Systemwechsel eröffnete die Möglichkeit, zur lang gehegten Tradition der Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren.

Im zweiten Teil seines Vortrags ging Prof. Zlinszky auf die gegenwärtigen Entwicklungen der ungarischen Verfassungsgeschichte ein und setzte die alte ungarische Verfassung und das neue Grundgesetz ins Verhältnis. Laut Prof. Zlinszky war es zwar wahrscheinlich ein Irrweg, während des Systemwechsels die sozialistische Verfassung nur zu novellieren und nicht durch eine neue zu ersetzen. Doch rundheraus schlecht war die alte Verfassung für Prof. Zlinszky nicht – „man hätte sie nur einhalten müssen“. Laut Prof. Zlinszky ist es immer leicht, zu behaupten, eine Verfassung sei für die schwierige Situation eines Landes verantwortlich. Gleichzeitig schafft eine neue Verfassung nicht automatisch eine bessere Situation. Denn laut Prof. Zlinszky kann das Recht weder die Moral noch menschliche Tugenden ersetzen und entfaltet seine Wirkung nur dann, wenn es von den Menschen verinnerlicht wird. Darüber hinaus betonte Prof. Zlinszky, dass es ein Fehler ist, Recht mit politischer Mehrheit zu verwechseln. Recht ist nur dann Recht, wenn es sich an Wahrem, Richtigem und an moralischen Grundsätzen ausrichtet. Die Wahrheit ist aber nicht durch Mehrheitsbeschlüsse ablösbar, sie kann nur erkannt und daraufhin in Gesetze gegossen werden.

Am neuen Grundgesetz würdigte Prof. Zlinszky positiv, dass es die weit zurückreichenden ungarischen Rechtstraditionen und Gewohnheitsrechte sowie Werte wie die Familie, menschliche Toleranz und den Umweltschutz achtet. Für das neue Grundgesetz hätte sich Prof. Zlinszky allerdings „weniger Poesie und mehr Konkretum“ gewünscht. Er kritisierte vor allem, dass das Grundgesetz im Vergleich zur alten Verfassung weichere Regelungen enthält und eine weniger deutliche Gewichtung der Rechtsgüter vornimmt. So ist beispielsweise aus dem alten Recht auf ein Gesundheitssystem „hohen“ Niveaus das neue Recht auf ein Gesundheitssystem „höchstmöglichen“ Niveaus geworden. Diese neuen Formulierungen können laut Prof. Zlinszky problematisch werden, wenn eine Regierung an die Macht kommt, die sich nur an das absolut Verpflichtende hält. Letztendlich kommt es laut Prof. Zlinszky aber auf die Rechtspraxis, die auf das neue Grundgesetz aufbaut, und auf eine wohlwollende Rechtsanwendung an – und diese sind wiederum abhängig von der inneren Einstellung derjenigen, die sie vornehmen.

Prof. Zlinszkys Vortrag fand im Rahmen des von Studierenden organisierten Fakultätsabends der Fakultät für Vergleichende Staats- und Rechtswissenschaften statt. Den Organisatoren sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Text: Tim Kraski, Doktorand VSR

Fotos: Dr. Judit Tömör, LL.M.-Studentin

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