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Ungewissheit nach den Parlamentswahlen in Kosovo
Die Parlamentswahlen in Kosovo am 9. Februar 2025 waren die ersten regulären seit der Unabhängigkeit 2008. Der Wahltag verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle.

Die Parlamentswahlen in Kosovo am 9. Februar 2025 waren in vielerlei Hinsicht besonders: Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit 2008 endete die Regierungszeit regulär nach vier Jahren und nicht durch vorgezogene Neuwahlen. Auch gab es erstmal keine nennenswerten Zwischenfälle am Wahltag selbst, und die internationale Wahlbeobachtungsmission der EU stellte dem Prozess ein überwiegend positives Zeugnis aus. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei knapp 47 Prozent und war regional sehr unterschiedlich.

Ebenfalls zum ersten Mal gehen nicht alle der zehn für die serbische Minderheit reservierten Sitze des 120-köpfigen Parlaments an die Belgrad-nahe „Serbische Liste“ (Srpska Lista), da sich die Partei „Für Freiheit, Gerechtigkeit und Überleben“ (Za slobodu, pravdu i opstanak, SPO) des amtierenden Ministers für Minderheiten und Rückkehr, Nenad Rašić, ebenfalls einen Platz sichern konnte. Weitere zehn Sitze gehen verfassungsgemäß an die anderen anerkannten Minderheiten in Kosovo – Bosniak:innen (3), Türk:innen (2), Ägypter:innen (2), Rom:nja (1), Ashkali (1) und Gorani (1). Angesichts eines Bevölkerungsanteils von etwa 90 Prozent ethnischer Albaner:innen in Kosovo sind die Minderheiten absichtlich überrepräsentiert und müssen bei wichtigen Entscheidungen konsultiert werden. Traditionell gehen die nicht-serbischen Parteien, abgesehen von den Gorani, eine Koalition mit der Regierung ein, während die Srpska Lista eine Zusammenarbeit mit den kosovarischen Behörden stets verweigert.

Die Auszählung und Ratifizierung der Wahlergebnisse verzögerte sich durch zahlreiche Pannen und Probleme seitens der Zentralen Wahlbehörde (Komisioni Qendror i Zgjedhjeve, KQZ) massiv. Bereits am Wahlabend stürzte die Webseite mit den Live-Auszählungen ab und war über Stunden nur eingeschränkt erreichbar. Auch die Übermittlung der Ergebnisse aus den Wahlbüros war betroffen. Die Auszählung der großen Zahl an Briefwahl-Stimmen aus der Diaspora hatte schon in der Vergangenheit für Verzögerung gesorgt, allerdings nicht in diesen Ausmaßen. Diesmal konnten Auslands-Kosovar:innen zum ersten  Mal auch in den Botschaften ihre Stimme abgeben. Diese Stimmen wurden ebenfalls separat gezählt. Schließlich gibt es im kosovarischen Wahlrecht noch sogenannte vorbehaltliche Stimmen (conditional votes), die einzeln verifiziert werden müssen, um Missbrauch auszuschließen. Diese Regelung greift zumeist, wenn eine Person unerwartet nicht in ihrem designierten Wahllokal wählen kann und die Stimme andernorts abgibt. Laut lokalen Beobachter:innen waren vor allem fehlende Kapazitäten seitens der KQZ Schuld an den Pannen und sorgten dafür, dass die Wahlergebnisse erst über einen Monat nach dem Wahltag finalisiert und Koalitionsverhandlungen begonnen werden konnten.

Die finalen Ergebnisse deuten auf eine komplizierte Regierungsbildung, für die vor allem die kosovo-albanischen Parteien entscheidend sind, die die übrigens 100 Sitze für sich beanspruchen. Die Partei Vetëvendosje („Selbstbestimmung“, VV) des amtierenden Ministerpräsidenten Albin Kurti wurde wie erwartet mit 42,3 Prozent der Stimmen zur Wahlsiegerin, kommt aber auch mit den Sitzen der Minderheiten und der SPO nicht wie erhofft auf die 61 Sitze für eine Regierungsmehrheit. Die letzten vier Jahre konnte sie auf eine Regierungsmehrheit bauen, nun ist sie auf eine Koalition angewiesen. Angesichts der Feindseligkeiten zwischen VV und den anderen albanischen Parteien schon während des Wahlkampfs ist hier jedoch wenig Spielraum.

Zweitplatziert ist die „Demokratische Partei Kosovos“ (Partia Demokratike e Kosovës, PDK) mit 20,9 Prozent der Stimmen. Ihr Mitbegründer und ehemalige Leiter Hashim Thaçi gilt als politischer Erzfeind Kurtis, ihm wird allerdings seit 2020 vor dem Kosovo Sondergerichtshof in Den Haag der Prozess für vermeintliche Menschenrechtsverletzungen während des Kosovo-Kriegs gemacht. Trotzdem ist eine Zusammenarbeit auch ohne Thaçi nahezu ausgeschlossen. Gleiches gilt auch für die drittplatzierte „Demokratische Liga Kosovos“ (Lidhja Demokratike e Kosovës, LDK), die auf 18,3 Prozent der Stimmen kam und deren erste Koalition mit VV 2020 durch ein von LDK-Abgeordneten unterstütztes Misstrauensvotum gegen Kurti platzte. Ein verspätetes Angebot zu Sondierungsgesprächen lehnte die Partei ab. Einzig die „Sozialdemokratische Initiative“ (Nisma Socialdemokrate) hat Koalitionswillen gezeigt und würde VV durch ihre drei Sitze gemeinsam mit den Minderheitenparteien zu genau 61 Sitzen verhelfen – eine sehr fragile Regierung also. Umgekehrt wäre auch ein Zusammenschluss aller Oppositionsparteien alles andere als stabil und würde angesichts der Ergebnisse für Vetëvendosje kaum breite Akzeptanz finden – und von dieser in Fragen ausgebremst werden, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern.

Auch mangelt es an Motivation, da im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen anstehen. Diese erfordern in den ersten beiden Wahlgängen eine Beteiligung von mindestens 70 Prozent der Abgeordneten, andernfalls werden automatisch Neuwahlen ausgerufen. Viele Beobachter:innen gehen angesichts der polarisierten Verteilung davon aus, dass die Oppositionsparteien den Wahlgang boykottieren werden. Angesichts möglicher Verluste bei den Regionalwahlen im Herbst 2025 sind alle Parteien zurückhaltend bei der Regierungsbildung. Für diese gibt es eigentlich klare Fristen, allerdings kann der Prozess verzögert werden. Die aktuelle Verzögerung bei der Benennung eines Parlamentssprechers ist eine Grauzone, die die Einführung einer neuen Regierung verhindert. Kurti legte derweil gemäß Verfassung sein Amt nieder, um sein Parlamentsmandat anzutreten.

Dieser politische Schwebezustand steht in krassem Widerspruch zu den globalen wie lokalen Herausforderungen, denen Kosovo gegenübersteht. Als einziges Land der Region hat es noch nicht den offiziellen Status als EU-Beitrittskandidat und steht wegen Alleingängen der Regierung in Sicherheits- und Minderheitenfragen sogar unter als „Maßnahmen“ bezeichneten Sanktionen. Trumps Sonderberater Richard Grenell, der schon in der ersten Amtszeit einen Deal zwischen Kosovo und Serbien verhandelte, macht keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Kurti, die er auch im Zuge des Wahlkampfs kundtat. Eine technische Regierung, wie sie der LDK-Parteivorsitzende Lumir Abdixhiku vorgeschlagen hat, könnte außenpolitisch kaum souverän auftreten.

Vetëvendosje, angetreten als Kraft gegen die grassierende Korruption und für bessere Wirtschaftsbedingungen, wird international als Gefahr für die von Internationalen Organisationen maßgeblich aufgebauten multiethnischen Strukturen des Landes gesehen, nachdem sie parallele serbische Institutionen insbesondere in den mehrheitlich serbischen Gemeinden nördlich des Flusses Ibar systematisch durch kosovarische ersetzte. Die Regierung berief sich dagegen auf Abkommen, die im Zuge des EU-geführten Dialogs mit Serbien verhandelt worden waren, sowie auf Sicherheitsbedenken insbesondere nach einem Terroranschlag nahe des Klosters Banjska in der nordkosovarischen Gemeinde Zvečan im September 2023. Der Dialog hat seither keine neuen Ergebnisse gebracht und angesichts anhaltender Massenproteste in Serbien ist das Interesse in Belgrad - wenn es überhaupt möglich ist - noch geringer als das in Prishtina.

Auch innenpolitisch sind viele Probleme nach wie vor akut. Ganz besonders müssen bessere Zukunftsperspektiven für die jüngste Bevölkerung Europas her, die Kosovo in Scharen verlässt.

 

Frauke M. Seebass

 

Endnotes

European Union Election Observation Mission (2025): Kosovo* Parliamentary Elections, 9 February 2025, Pristina, Kosovo, 11 February 2025. URL: https://www.eeas.europa.eu/sites/default/files/documents/2025/Preliminary%20Statement_FINAL.pdf

Komisioni Qendror i Zgjedhjev [Central Election Commission] (2025): Zgjedhjet Për Kuvendin E Kosovës 2025 [Wahlen zur Legislative des Kosovo 2025]. URL: https://kqz-ks.org/wp-content/uploads/2025/03/2.Ndarja-e-uleseve-ne-Kuvend-dhe-kandidatet-e-zgjedhur-2.pdf

 

Frauke Seebass ist Doktorandin und Carl-Lutz-Fellow an der Andrássy Universität Budapest und Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) Berlin. Sie ist Gastwissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Brüssel und arbeitet zur EU-Erweiterungspolitik mit einem Schwerpunkt auf dem Westbalkan.

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