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The Western Balkans path towards EU membership – new drive or dead end?
Stabilität, Demokratie, Wohlstand – die EU-Integration des Westbalkans ist mit ehrgeizigen Zielen verbunden. Dieser Vortrag beleuchtet die zentralen Schwierigkeiten und Dilemmata der EU-Erweiterungspolitik in Südosteuropa und mögliche Lösungsansätze.

Am 24. März lud die Andrássy Universität in Kooperation mit dem Österreichischen Kulturforum Budapest zu einer Abendveranstaltung mit dem Titel „The Western Balkans path towards EU membership – new drive or dead end?“ ein. Mag. Theresia Töglhofer, Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und der Stiftung Genshagen stellte in ihrem Vortrag die aktuellen Herausforderungen und mögliche Zukunftsperspektiven für die Annäherung der Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien an die EU dar, gefolgt von einer lebhaften Diskussion.

Nach einer kurzen Einführung von Dr. Christina Griessler, wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Netzwerk Politische Kommunikation (netPOL) an der AUB, begann die Referentin ihren Vortrag mit einer spontanen Umfrage unter den Anwesenden. Diese wurden gefragt, wie viele der sechs Westbalkanstaaten ihrer Meinung nach in den nächsten fünf oder zehn Jahren Teil der EU würden. Das ernüchternde Ergebnis stellte sie einer Umfrage der Balkans in Europe Policy Advisory Group (BiEPAG) gegenüber, die im Herbst 2021 in den Beitrittsländern durchgeführt worden war. Diese zeigt allgemein eine hohe Zustimmung zum EU-Beitritt, aber auch große Unterschiede etwa zwischen Albanien (94 Prozent) und Serbien (53 Prozent). Aber die Zahlen zeigen auch, dass der Optimismus nach fast 20 Jahren Verhandlungen abnimmt und die Beitrittsperspektive zunehmend an Glaubwürdigkeit verloren hat.

In Bezug auf den Krieg gegen die Ukraine haben außenpolitische Akteure innerhalb der EU in den vergangenen Wochen mehrmals von einem „Weckruf“ für die Erweiterungspolitik gesprochen, was zu der Frage führt, ob die Union in der Zwischenzeit wichtige Meilensteine verschlafen hat. Um diese Frage zu beantworten, differenzierte Mag. Töglhofer zwischen dem formellen Prozess und der Situation in den Staaten vor Ort. Denn im bürokratischen Prozess ist für alle Kandidatenländer Fortschritt zu verzeichnen, obschon seit dem Bekenntnis der EU zu der Region auf dem Thessaloniki-Gipfel 2003 bislang nur Kroatien beigetreten ist. Dennoch schätzte die Referentin die tatsächliche Beitrittsperspektive als schlechter ein als noch vor fünf oder zehn Jahren, da sich viele äußere Faktoren geändert haben. Dazu gehört eine zunehmende Skepsis oder auch ein Desinteresse der Mitgliedsländer gegenüber möglicher Erweiterungen, aber auch die politischen Probleme und demokratischen Rückschritte in einigen Staaten des Westbalkan wie auch der EU selbst, was die Frage nach dem tatsächlichen Willen und den Kapazitäten für notwendige Reformen aufwirft. Auch in den Feldern Sicherheit, Wirtschaft und nachbarschaftliche Beziehungen gibt es in vielen der Länder große Herausforderungen.

Die Referentin identifizierte drei Dilemmata, denen die EU auf dem Westbalkan begegnet. Eins davon ist der Nexus zwischen Stabilisierung und Transformation, die in der Theorie Hand in Hand gehen und einander bestärken sollten. Tatsächlich aber bedingen sie einander negativ, sodass Reformen immer wieder durch ungeklärte Konflikte verhindert werden. Nirgends ist dies aktuell so deutlich wie in Bosnien-Herzegowina, das nach dem Rückzug der serbischen Entität aus wichtigen Regierungsgremien (erneut) zu zerfallen droht. Aber auch im von der EU unterstützen Dialog zwischen Serbien und Kosovo gibt es seit langem keine Fortschritte. In diesem Zusammenhang wird der EU und ihren Mitgliedsstaaten regelmäßig vorgeworfen, sie unterstütze undemokratische „Stabilokratien“, anstatt echte Reformen zu fordern.

Das zweite Dilemma betrifft die geopolitischen Interessen der EU. Denn in der Region sind auch andere internationale Akteure wie Russland, China, die Türkei oder auch die Golfstaaten präsent und üben durch wirtschaftliche und politische Verflechtungen Einfluss aus. Infrastrukturprojekte als Teil der Neuen Seidenstraße etwa sind oft intransparent und können zu finanziellen Abhängigkeiten führen, die EU-Interessen zuwiderlaufen. Auch der große Einfluss Russlands in Serbien und der serbischen Entität in Bosnien-Herzegowina wird nicht erst seit Beginn des Krieges mit Sorge betrachtet. Gemeinsam mit der Glaubwürdigkeit einer Beitrittsperspektive verliert die EU jedoch ihren Status als wichtigster Partner. Das hängt auch mit der fehlenden Sichtbarkeit und Kommunikation der EU-Unterstützung in den Ländern zusammen, die etwa im Zuge der Covid19-Pandemie zu einem „Kampf der Narrative“ führte, der vom serbischen Präsidenten genutzt wurde, um die Verbindung mit China zu stärken. Gleichzeitig ergibt sich für die EU das Problem, dass eine schnellere Annäherung nicht auf Kosten der im Prozess festgelegten Reformen geschehen darf, die für die Gesellschaften zentral sind.

Schließlich findet sich ein drittes Dilemma in den strategischen Interessen der EU gegenüber den nationalen Interessen seiner Mitgliedsstaaten. Da alle Schritte im Beitrittsprozess Einstimmigkeit im Rat erfordern, kann ein einzelnes Land jeden potentiellen Kandidaten blockieren – wie im Fall Nordmazedoniens, das sich nach einer historischen Einigung mit Griechenland nun im Streit mit Bulgarien befindet. Aber auch die Mobilisierung des in vielen Ländern unpopulären Themas durch die extreme Rechte insbesondere gegenüber mehrheitlich muslimischen Ländern wie Albanien weckt Bedenken. Damit einher geht die Frage, ob die EU nicht erst vertieft werden muss, bevor sie erweitert werden kann. Ein Kompromiss war 2021 die Anpassung der Methodik des Beitrittsprozesses auf Drängen Frankreichs, was aber auch zu Frust unter den Beitrittskandidaten führte, weil dadurch die institutionelle Vertiefung der Union gegenüber ihrer Erweiterung wieder stärker in den Vordergrund gestellt wird. Eine weitere Gefahr geht in dieser Wahrnehmung von illiberalen Allianzen aus, wie etwa der engen Verbindung zwischen den Regierungen Ungarns und Serbiens, die nun auch die Neutralität der EU-Kommission in Frage stellen.

Angesichts dieses eher düsteren Bildes stellte Mag. Töglhofer zum Ende ihres Vortrags die Frage, wie sich die Beziehungen in Zukunft gestalten können. Deutlich ist, dass die EU und ihre Mitglieder angesichts der russischen Aggression in der Ukraine auf eine Intensivierung des Prozesses drängen. Nach Ansicht der Referentin sind dazu höhere Anreize und das klare Bekenntnis der Mitgliedsstaaten zu den strategischen Interessen der EU nötig. Zahllose Berichte analysieren die Herausforderungen der Erweiterungspolitik, aber der EU gelingt es bislang nicht, diese in angemessene und systematische Politik zu übersetzen. Eine Integration ohne Transformation sieht sie jedoch als die schlechteste Lösung. Die Kopenhagen-Kriterien seien wichtige gemeinsame Grundsätze, die es hochzuhalten gelte. Vielmehr müssten klare und attraktive Zwischenschritte erdacht werden, die Beitrittskandidaten auf dem Weg erreichen können – etwa Strukturinvestitionen, die mit klaren Konditionen verknüpft sind. Denn durch die Erfahrungen früherer Beitritte werden die Hürden in der Praxis immer weiter erhöht.

In der anschließenden Diskussion mit den anwesenden Studierenden und ExpertInnen wurden viele Punkte der Präsentation ernuet aufgegriffen. So wurde die Wichtigkeit betont, nicht nur in den Beitrittsländern sondern auch in der EU selbst eine bessere Kommunikation über den Prozess und dessen Bedeutung aufzubauen und Formate zu etablieren, in denen Beziehungen auf- und Vorurteile abgebaut werden können. Außerdem wurde die Verantwortung betont, die die EU für die Region übernommen hat, in der sie nun nicht selbst zu einem Faktor von Instabilität werden darf – wie im Fall Nordmazedonien, wo die Nichterfüllung des Versprechens, nach dem Beilegen des Namensstreits Verhandlungen zu eröffnen, zu einer Regierungskrise führte. Auch Mag. Töglhofer betonte, dass man die stabilisierende Wirkung des Beitrittsprozesses nicht unterschätzen dürfe und viel auf dem Spiel stehe, wenn die Glaubwürdigkeit schwindet und nationale Interessen auf allen Seiten in den Vordergrund treten

Die Rolle der USA auf dem Westbalkan und ihre Beziehungen zur EU-Politik vor Ort wurden ebenfalls angesprochen. Unter der Biden-Administration ziehe man an einem Strang und sehe die Kompetenz auf Seiten der EU, betonte die Referentin, aber die USA seien weiterhin ein wichtiger Investor in der Region. Auch wurde eine Stärkung regionaler Kooperation als Ziel der EU von der Open Balkan-Initiative aufgegriffen, einem Zusammenschluss von Albanien, Serbien und Nordmazedonien, der auch den anderen drei Ländern offensteht. Solche Formate seien grundsätzliche begrüßenswert, sollten aber eingebettet sein in den Erweiterungsprozess und diesem nicht zuwiderlaufen oder als Ersatz verstanden werden. Die Beitrittsperspektive bleibt das wichtigste Instrument, um die Interessen der EU auf dem Westbalkan voranzubringen.

Der Vortrag war der erster der Ringvorlesung Westbalkan an der Andrássy Universität in Kooperation mit dem Österreichischen Kulturforum. 

Frauke Mogli SEEBASS

2024-3 April 2024 2024-5
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