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Re-Nationalisierungstendenzen in Ostmitteleuropa und die Zukunft der Europäischen Union
Andrássy Universität Budapest
Vortrag im Rahmen der Budapest-Exkursion einer Studierendengruppe aus Wuppertal zum Thema „Deutschland, Ungarn und Europa - ein politisches Spannungsverhältnis".

Zwischen dem 23. und 27. Oktober 2017 organisierte die Bergische Universität Wuppertal eine Exkursion für Studierende zum Thema "Deutschland, Ungarn und Europa - ein politisches Spannungsverhältnis". Die Andrássy Universität lud die Teilnehmer_innen  zu einem Vortrag über Re-Nationalisierungstendenzen in Ostmitteleuropa ein, den auch AUB-Studierende besuchten.

Prof. Dr. Hendrik Hansen, Leiter des Lehrstuhls für Internationale und Europäische Politik, Verwaltungswissenschaften der Andrássy Universität Budapest, erörterte in seinem Vortrag Ursachen der Re-Nationalisierung in Europa und befasste sich mit der Frage, inwieweit die Europäische Union konzeptionell mit dieser umgehen könne. Ziel des Vortrags war, aufkeimende Tendenzen am Beispiel Ungarns zu erläutern.

Der Referent nahm einleitend Bezug auf die zentralen Elemente des ungarischen Nationalbewusstseins und legte dar, wodurch sich diese konstituieren. Dabei ging Hansen auf die Rolle von gemeinschaftsstiftenden Elementen ein, die insbesondere durch zugespitzte Mythenbildungen Ungarn als Schicksalsgemeinschaft darstellen würden. Dabei sei der Zugang zum politischen Selbstverständnis nicht immer als Wertegemeinschaft zu verstehen, so Hansen. Weiterhin dominiere in Ungarn mit Rückgriff auf die vernichtende Niederlage in der Schlacht bei Mohács (1526) ein Selbstbild, in dem die Erfahrung von Fremdherrschaften ein konstantes Element darstelle. Eben jener wollte man sich beispielsweise während der Ungarischen Revolution 1848 und des Ungarischen Volksaufstandes 1956 entledigen. Ferner begründe die jahrhundertelange Fremdbestimmung eine "Opferrolle", die sich positiv auf das Nationalgefühl in Ungarn ausgewirkt habe.

Obendrein zeige sich im ungarischen Selbstbild eine Spaltung innerhalb der ungarischen Gesellschaft in "kosmopolitische Liberale" und "nationale Konservative", mit einem verstärkt auftretenden Nationalkonservativismus seit 1989, so Hansen. Im Anschluss skizzierte der Vortragende historische Entwicklungslinien, die nach der politischen Wende die Erfolge der Re-Nationalisierung ab 2010 erklären können. Einerseits bedinge der friedlich abgelaufene Transformationsprozess eine Kontinuität bei den politischen Eliten Ungarns, welche die Machtübergabe ausgehandelt hätten. Hierbei transformierten diese ihre politische Macht zu wirtschaftlicher Macht, fuhr Hansen fort. Im Kontext dieses Privatisierungsprozesses sei das Interesse der Eliten an wirtschaftsliberaler Politik rapide angewachsen. Reformen dieser Art seien in den Ländern Westeuropas positiv bewertet worden, wohingegen in Ungarn zunehmend Korruptionsvorwürfe geäußert wurden. Ihren Höhepunkt erreichten diese mit der öffentlich gewordenen „Lügenrede“ des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, die gleichsam einen raschen Anstieg von Re-Nationalisierungsbewegungen begründete.

Des Weiteren sei die emotionale Aufladung dieser gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen zu beobachten. Dieser Sachverhalt erschwere die Auslotung von "gemeinsamen Schnittpunkten" zwischen Liberalen und Konservativen, argumentierte Hansen. Vielmehr müsste der Dialog zwischen den Vertretern von Mitgliedsstaaten der EU auf gegenseitigem Verständnis beruhen, damit etwaige Lern- und Austauschpotenziale nutzbringend verwertet werden könnten. Hierfür müsse man primär zugespitzte Aussagen beidseitig relativieren und den Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten der EU in Politik, Verwaltung und zwischen den Eliten pflegen. Schließlich seien neofunktionale Integrationsmuster an ihre Grenzen gestoßen, da die emotionale Bindung an die EU-Wertegemeinschaft sich als zu schwach erweise. Um den Rückfall der Staaten in nationalistische Denkmuster zu verhindern, müsse man eine Neukonzeption der nationalen Bindung sowie der Europäischen Wertehaltung vornehmen, beschloss Hansen seine Ausführungen.

Im Rahmen der Exkursion wurde außerdem mit dem Journalisten Márton Gergely über die Meinungs- und Pressefreiheit in Ungarn im Zuge des Ungarischen Nationalfeiertags im Kelet Kult Café diskutiert. Ferner standen ein Besuch der Deutschen Botschaft sowie ein Vortrag zum Thema "Kin-State/Minderheitenpolitik Ungarns" von Zoltán Kántor (Ungarische Akademie der Wissenschaften) auf dem Programm. Eingeladen war die Exkursionsgruppe auch zu einer Diskussionsveranstaltung der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer, welche die Möglichkeit bot, mit DUIHK-Geschäftsführer Gabriel Brennauer über „Wirtschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn im europäischen Kontext" zu debattieren. Abschließend hatten die Studierenden Gelegenheit, sich sowohl mit Prof. Dr. Péter Balázs (Central European University) über die Agenda „Hungary and its new Higher Education Act - Lex CEU" auszutauschen als auch mit István Hegedűs (Hungarian Europe Society) über die Zukunft Ungarns in der Europäischen Union zu diskutieren.

Autor: Bálint Lengyel

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