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Probleme der Integration der Roma-Minderheit in Ungarn – Die Bildungspolitik im Fokus
Zentrum für Demokratieforschung
Im Rahmen des Projekts „Probleme der Integration der Roma-Minderheit in Ungarn“ fand am 29. April 2015 ein zweiter Workshop zum Thema statt, bei dem die Bildungspolitik im Zentrum des Interesses stand.

Der Workshop gab einen Einblick in die Situation der Roma im ungarischen Bildungssystem. Anschließend wurden verschiedene Ansätze zur besseren Integration der Roma in das Bildungssystem vorgestellt und kritisch diskutiert. Dabei wurden sowohl Programme der ungarischen Regierung als auch Initiativen von NGOs thematisiert.

Nach den Grußworten des Rektors der Andrássy Universität Budapest (AUB), Prof. Dr. András Masát, führte Károly Czibere, Staatssekretär für soziale Angelegenheiten und Inklusion, die Leitgedanken des Tages in seinem Beitrag aus. Mit Blick auf die Herausforderungen der an die Roma gerichteten staatlichen Bildungsprogramme betonte Czibere, dass der ungarische Staat jede Form der Segregation ablehne und sich für ein integratives Bildungsmodell ausspreche. Anschließend stellten Renáta Fixl, Leiterin des Budapester Büros der Hanns-Seidel-Stiftung, und Frau Prof. Dr. Ellen Bos, Professur für Vergleichende Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa in der EU an der AUB, die Ziele und Perspektiven des auf drei Jahre konzipierten Roma-Projekts vor.

Im ersten Panel referierten Dr. Ildikó Husz (Ungarische Akademie der Wissenschaften), Erzsébet Kovács-Vass (Klebelsberg Intézményfenntartó Központ; Zuständiges Amt für die Verwaltung von Grund- und Mittelschulen in Ungarn), sowie dr. Adél Kegye von der Chance for Children Foundation (CFCF). Anhand einer Studie der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zu den 33 wirtschaftlich schwächsten Regionen Ungarns skizzierte Husz die aktuelle Bildungssituation der Roma in diesen Regionen. Als erfolgreiche Integrationsprozesse erschwerend beurteilte Husz v.a. die Praxis jener Eltern, die ihre Kinder entweder nicht in Schulen mit hohem Roma-Anteil anmelden oder sie aus solchen gar wieder herausnehmen würden. Das Motto laute hier „Integration ja, aber nicht in meinem eigenen Hinterhof“, so Husz.

Erzsébet Kovács-Vass wies auf die Differenzen in der Schulbildung zwischen Roma und Nicht-Roma hin: „22,3 Prozent der über 15-jährigen Roma brechen ihre Grundschulausbildung ab, dieser Anteil liegt unter den Nicht-Roma in der gleichen Altersklasse bei 4,5 Prozent”. Sie stellte die an die Nationalitäten gerichtete Bildungsstrategie des Zentrum Klebelsberg (kurz: KLIK) vor, die als minimales Ziel den Grundschulabschluss der Roma-Kinder festlege. Anhand von ungarischen Fallbeispielen wie der Schule in der Huszár-Siedlung in Nyíregyháza (Nordostungarn) machte Kegye in ihrem Vortrag auf die Gefahren von segregierter Schulbildung aufmerksam. Im Laufe der anschließenden Diskussion wurde gerade auch anhand einer entsprechenden Studie darauf aufmerksam gemacht, dass in integrierten Klassen und Schulen Schüler der Roma-Minderheit auf die Leistungen der Mehrheit keine negative Auswirkung haben.

Das internationale Panel wurde von Vera Messing (Ungarische Akademie der Wissenschaften/Central European University) eingeleitet, die die Ergebnisse von internationalen Studien vorstellte. Sie hob hervor, dass „der ‚gap‘ zwischen Roma und Nicht-Roma mit Hinsicht auf ihre Schulbildung erst in der Oberstufe anfängt”. Vor diesem Hintergrund formulierte sie die Frage, ob es zielführend war, das Ende der Schulpflicht auf das 16. Lebensjahr zu reduzieren. Zudem betonte sie, dass Integration nicht bedeuten solle, Kinder „zusammenzumixen”. Messing wies auf die Thematik des ersten Workshops mit dem Themenschwerpunkt Wirtschafts- und Arbeitsmarkt hin und unterstrich nochmals das Ergebnis einer weiteren Studie, die für Ungarn in einem internationalen Vergleich mit fünf weiteren Ländern den höchsten Bildungsstand, jedoch die niedrigste Beschäftigungsrate der Roma ermittelte. Beata Bislim Olahová (Roma Education Fund) stellte in ihrem Vortrag die Arbeit des Roma Education Fund in Ungarn und in Europa vor, der sich in 16 Ländern mit bildungspolitischen Integrationsprojekten folgendes Ziel gesetzt habe: „to close the gap between Rom and Not-Rom”.  MMag Dr. Andrea Brait von der Universität Wien stellte die Migrationsgeschichte und die derzeitige gesellschaftspolitische Situation der 20 bis 30 Tausend in Österreich lebenden Roma vor und gab zu Bedenken, dass in den österreichischen Bildungseinrichtungen wenig über diese Minderheit unterrichtet werde. Der internationale Teil der Veranstaltung wurde von Stephan Müller (European Roma Rights Centre) moderiert.

Auf der von Melani Barlai (AUB/netPOL) und Margit Schütt (AUB) moderierten Projektbörse stellten zivile und staatliche Akteure ihre bildungspolitischen Integrationsprojekte und -programme vor. Hierbei ging es primär um das Präsentieren neuer Initiativen, die die bildungspolitische Integration der Roma-Kinder würden ermöglichen und weiter etablieren können. Die Projektbörse verfolgte das Ziel, die anwesenden Vertreter zusammenzubringen und sie zu ermutigen, erste Gedanken über gemeinsame, weitere Projekte zu formulieren.

Die Konferenz endete mit zwei kontroversen Podiumsdiskussionen: Im ersten Gespräch, das von István Antal (Rektor des Jesuiten Roma Fachkollegs) moderiert wurde, standen allgemeine, alltägliche Integrationsprobleme in der Bildung der Roma im Fokus. Tibor Derdák (Direktor der Dr. Ámbédkar Fachmittelschule in Sajókaza bei Miskolc) betonte, dass in vielen Dörfern Ungarns der Anteil der Kinder rund 50 Prozent betrage (Landesdurchschnitt: 17%). „In diesen Dörfern hat Liebe eine andere Bedeutung”, so Derdák. Der Referent betonte die Bedeutung von Mittelschulprogrammen, die „dazu beigetragen haben, dass die Zahl der Schwangerschaften Minderjähriger zurückgegangen ist”. Judit Fegyverneky (Leiterin des Wohnheims des Gandhi-Gymnasiums in Pécs/Fünfkirchen) hob das Gandhi-Gymnasium als ein positives Beispiel für ein integratives Schulmodell dar. Zugleich betonte sie die hohe Arbeitsbelastung der Pädagogen. Nóra L. Ritók ((Vorsitzende der Igazgyöngy Stiftung) stellte an das Publikum die Frage: „Ist es richtig, dass Nicht-Roma auf der Grundlage von staatlichen Vorschriften in von Roma bewohnten Siedlungen die Roma-Identität formen?” Sie wies ebenfalls darauf hin, dass man entscheiden müsse, ob Roma Minderheiten oder Nationalitäten seien. „Erst danach kann man die Bildungsstrategien bestimmen”, so Ritók.

Die zweite Podiumsdiskussion mit Vertretern der ungarischen Regierung moderierte Ellen Bos. Bzgl. der Frage, wie Roma-Kinder auf ihrem Weg des schulischen Erfolges unterstützt werden könnten, sprach sich etwa Gábor Radványi, stellvertretender Bürgermeister des X. Bezirks in Budapest, für die Beschäftigung in Kleingruppen aus: „Der Staat muss diese Kinder mit zusätzlichen Unterrichtsstunden und mit adäquaten Unterrichtsmethoden unterstützen, damit sie nicht ‚abhandenkommen‘”. László Bogdán (Bürgermeister des unweit von Pécs/Fünfkirchen gelegenen Cserdi) betonte, dass man auf die Roma-Fragen nicht mit Emotionen antworten solle. Man dürfe nicht denken, dass Roma im Bermuda-Dreieck ‚verschwinden‘ würden”. Katalin Langerné Victor (stellv. Staatssekretärin für Inklusion) hob hervor, dass es gut ausgebildeter Pädagogen bedürfe, und „dass wir Verbündete brauchen, die vor Ort zusammenwirken können”. Der stellvertretende Staatssekretär für Öffentliche Bildung Imre Sipos äußerte das Ziel der Regierung, „Cigány-Pädagogen- und Pädagoginnen” auszubilden.

Ellen Bos sprach das Schlusswort der Konferenz, in dem sie sich bei Referenten und Publikum für ihre aktive Teilnahme sowie bei den Organisatoren des erfolgreichen Workshops bedankte.

In dem für einen Zeitraum von mehreren Semestern konzipierten Projekt werden künftig die Themenschwerpunkte politische Partizipation, EU-Politik, öffentliche Meinung und Migration fokussiert.

Text: Melani Barlai

Fotos: Balázs Szecsődi

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