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Jüdisches Leben im ungarisch-österreichischen Grenzraum des 19. und 20. Jahrhunderts
Fakultät für Mitteleuropäische Studien

Die Fakultät für Mitteleuropäische Studien der Andrássy Universität Budapest (AUB), das Centrum für Jüdische Studien der Karl-Franzens-Universität Graz und das Zentrum für deutschsprachige jüdische Kultur Mitteleuropas an der Eötvös-Loránd-Universität Budapest hielten zwischen dem 29. und 31. Oktober 2012 in der AUB eine zweisprachige Tagung ab mit dem Titel „Jüdisches Leben im ungarisch-österreichischen Grenzraum des 19. und 20. Jahrhunderts“/„Jewish Life in the 19th and 20th Century Austrian-Hungarian Border Region.“

Die Tagung wurde u.a. vom Österreichischen Kulturforum Budapest, vom Israelischen Kulturforum Budapest und von der Aktion Österreich Ungarn unterstützt. An der Veranstaltung nahmen international renommierte Wissenschaftler teil, die die interdisziplinäre Ausrichtung der Tagung gewährleisteten. Das ausgeschriebene Thema konnte demnach aus historischen, kulturwissenschaftlichen, soziologischen, ethnographischen Aspekten diskutiert werden.

Nach der Eröffnung durch den Rektor der AUB, András Masát, und durch den österreichischen Botschafter in Ungarn, Michael Zimmermann, die die Bedeutung der österreichisch-ungarischen Grenzregion als ein Teil des kulturellen Erbes Europas betonten, hielt Alice Freifeld (Florida) den Eröffnungsvortrag über das ungarische Judentum im 19. und 20. Jahrhundert, wobei die Geschichte des ungarischen Judentums besonders der Stadt Budapest parallel zu historischen Umbrüchen der Österreich-Ungarischen Monarchie und Ungarns erörtert wurden.

Einen Auftakt der Tagung und eine Einführung ins Thema leistete der Vortrag von Gerald Lamprecht (Graz), in dem die Multikulturalität des Grenzraumes und die Rolle jüdischer Geschichte als Teil des kollektiven Gedächtnisses auf diesem Gebiet hervorgehoben wurden. Die Vorträge des ersten Panels gaben einen Überblick über die österreichisch-ungarische Grenzregion. Brigitta Eszter Gantner (Berlin/Budapest) lenkte die Aufmerksamkeit auf eine Forschungslücke ungarischer Historiographie, auf die Erforschung der Ausdifferenzierung jüdischer Gesellschaft während der wirtschaftlichen Umstellung der Monarchie im 19. Jahrhundert. Levi Cooper (Ramat Gan) griff auf die Untersuchung einer anderen, nicht weniger spannenden Grenzregion zwischen Galizien und Ungarn zurück und erörterte die Schlüsselposition des Rabbinats von Munkács (heute Myкaчeвe) zwischen Chassidismus und Orthodoxie. Auf die Besonderheit der österreichisch-ungarischen Grenzregion wies Kevin D. Goldberg (Providence) im Kontext jüdischer Weinhändler vor dem Hintergrund der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts und der sog. Kunstweinfrage hin.

Die Vorträge der zweiten Sektion konzentrierten sich auf das Phänomen der Migration und des kulturellen Transfers. Rachel Manekin (Maryland) präsentierte die Zurückweisung des Schismas in Cisleithanien und das Scheitern eines ungarisch-jüdischen Modells. Als Zeugen kulturellen Transfers in der Region thematisierte Johannes Reiss (Eisenstadt) hebräische Grabinschriften jüdischer Friedhöfe des Burgenlandes, die auch als „eigene literarische Gattung des Judentums“ gelesen werden können. Grabinschriften als Quellen wurden ebenfalls im Beitrag von Gerald Lamprecht (Graz) herangezogen, der den Zuzug der Juden nach Graz bzw. die Gründung der jüdischen Gemeinde in Graz durch ungarische Juden thematisierte.

Im Nachmittagspanel setzten sich die Referenten mit dem Thema Leben in der Grenzregion auseinander. Ursula Mindler (Budapest) lenkte die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Lokalstudien im „multikulturellen Musterland“ Burgenland. Mit der Methode der Hinterfragung von Narrativen stellte sie das Zusammenleben der multiethnischen und -konfessionellen Einwohner Oberwarts im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts dar. Michael Hess (Neusiedl am See) zeichnete das Schicksal Neusiedler Juden am Beispiel der prominenten Rosenfeld-Familie nach. Anna Liesch (Basel) setzte mit ihrem Beitrag die Vorstellung von Familiengeschichten als Repräsentanten historischer Umbrüche fort und erörterte die Geschichte der nach Westen geflüchteten Familie Neufeld aus Lackenbach, u. a. auf Basis von Materialien aus dem Familiennachlass.

Zur Fortsetzung der Sektion kam es am Mittwochvormittag. Das Leben im jüdischen Ghetto Pressburgs und die Topographie der Erfahrung waren das Thema von Julia Richers (Basel), während Marija Vulesica (Berlin) sich mit dem Phänomen des Zionismus im österreichisch-ungarischen Grenzraum am Beispiel Lavoslav Schick’ auseinandersetzte. Der letzte Vortrag des Panels von Vanda Vitti (München) schloss die Diskussion über unterschiedliche Lebensformen in dem behandelten Raum mit einer Fallstudie über die Transformation jüdischer Lebenswelten seit der Wende in unterschiedlichen slowakischen Städten, wie in Košice/Kaschau, ab.

Die Bedeutung der Erinnerung und des Gedenkens wurden im letzten thematischen Teil der Tagung aus unterschiedlichen Aspekten behandelt. Elisabeth Arlt (Laafeld) sprach über die historische Region Übermurgebiet in Slowenien, die als Reminiszenz an eine verschwundene Kultur gelesen werden kann. An diesen Beitrag schloss sich thematisch die Präsentation Gert Tschoegls (Eisenstadt), an der die Region Westungarn-Burgenland als einen Transferraum jüdischer Familiengeschichten darstellte. Zur Herauskristallisierung der Vermittlerfunktion der Region trug der Vortrag Paul Guldas (Rechnitz) bei, der den Gedächtnisort Kreuzstadl bei Rechnitz als Beispiel heranzog.

Die wechselhaften Themen und Annäherungsweisen sorgten für spannende Diskussionen, die sowohl in den Kaffeepausen, als auch am Mittagstisch weitergeführt werden konnten. Zusammenfassend können also die Organisatoren auf eine besonders erfolgreiche Veranstaltung zurückblicken, der in der Zukunft hoffentlich weitere folgen werden.

Text: Orsolya Lénárt

2024-4 Mai 2024 2024-6
 
 
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