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Internationale Tagung zu Wirtschaft und Wohlstand in Mitteleuropa
Konferenzbericht

Das Donau-Institut für Interdisziplinäre Forschung und die Fakultät für Mitteleuropäische Studien der Andrássy Universität Budapest (AUB) organisierten zusammen mit dem Österreichischen Kulturforum Budapest (ÖKF) am 18. und 19. April 2012 die internationale Tagung „Wirtschaft und Wohlstand in Mitteleuropa im Vergleich. 1867 bis zur Gegenwart“. Projektleiter der Tagung war Christopher Walsch, der im ersten Halbjahr 2012 als Senior Research Fellow an der AUB arbeitet. Zur Tagung konnten hochrangige Referent/inn/en aus fünf Ländern gewonnen werden. Es gab in Summe drei Panels mit je drei Referaten, flankiert von je zwei Eröffnungs- und Schlussreferaten am Beginn und Ende der Tagung, wie auch anregende Diskussionen im gut gefüllten Andrássy-Saal der AUB im Anschluss an die Ausführungen der Referent/inn/en.

Nach Grußworten durch die Leiterin des Donau-Institutes, Professor Ellen Bos, dem österreichischen Botschafter Michael Zimmermann und dem Projektleiter, eröffnete Roman Sandgruber, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz, mit seinem Referat Spitzeneinkommen und Einkommensverteilung in Wien und Cisleithanien im Jahr 1910. Ein progressiver Einkommenssteuersatz von eineinhalb bis sechs Prozent für Jahreseinkommen über 100.000 Kronen ab dem Jahr 1906, der genau dokumentiert ist, bildet die Basis für diese Forschungen. Die reichsten 1.000 Österreicher lebten vor allem in Städten, und dabei vor allem in Wien. Die Mehrzahl machte ihr Geld im Bank- und Finanzwesen. Es finden sich aber auch vereinzelt Ärzte, Architekten und Schauspieler in dieser Gruppe, wobei eine Mehrzahl jüdischer Herkunft war. Károly Halmos (ELTE Budapest) referierte über Kapitalismen in Ungarn. Mit dem Plural verwies er in einer diachronen Betrachtungsweise auf die Vielzahl der Kapitalismen, die vom Merkantilismus und Hochkapitalismus zu einem anglo-amerikanisch geprägten in der Gegenwart führten; aber auch in einer synchronen Betrachtungsweise, indem er die Verwerfungen aufzeigte, die die unterschiedliche Verfügbarkeit von Kapital für verschiedene Bevölkerungsgruppen in Ungarn bewirkte.

Der Donnerstag begann mit dem Panel „Die Donaumonarchie, 1867-1918“: Catherine Horel (Universität Paris I) eröffnete mit Die Finanzierung des Vereinswesens in den Städten der Habsburgermonarchie. Sie spannte einen Bogen von konfessionell inspirierten Wohltätigkeitsvereinen, die oft von Adeligen im Verbund mit den Kirchen gestiftet wurden, bis zu den bürgerlichen Vereinen, die mehr und mehr national organisiert waren. Das transnationale Element blieb jedoch erhalten insbesondere bei jüdischen Vereinen oder Frauenvereinen. Lukáš Fasora (Masaryk Universität, Brünn) referierte über Die sozialistische Arbeiterjugend auf der Suche nach dem alternativen Weg zum Wohlstand. Linksradikale Revolte in den böhmischen Ländern 1900-1920. Sein Referat gab ein weiteres Fallbeispiel über die soziale Frage in der Habsburgermonarchie und über die Debatte innerhalb der Linken, entweder der revolutionären Lehre von Marx und Engels zu folgen, was Mehrheitsmeinung war und auch blieb, oder eine moderatere, sogenannte revisionistische Linie einzuschlagen. Der Beitrag von Zoltán Kaposi(Universität Pécs), betitelt Die Vermögens- und Einkommensveränderungen der ungarischen Aristokratie in der Zeit des Dualismus, war eine interessante Ergänzung zum Referat Sandgruber. Ungarische Aristokraten, etwa die Familien Esterházy, Festetics, Batthyány und Károly, erzielten ihre Einkünfte von den landwirtschaftlichen Gütern. Der damit verbundene Status als Adelige und Schlossbesitzer war auch für das vornehmlich jüdische ungarische Industriekapital attraktiv: des Statusgewinns zuliebe erwarben Industriemagnaten in der Zeit des Dualismus adelige Liegenschaften.

Das zweite Panel „Die Zwischenkriegszeit und Nachkriegszeit, 1919-1989“ eröffnete Richard Lein (Andrássy Universität Budapest) mit Wirtschaftliche Fragen im Kontext der Ödenburger Abstimmung 1921. Österreich, so Lein, konnte die Ententemächte ursprünglich dafür gewinnen, dass Deutsch-Westungarn an Österreich angeschlossen werden soll. Das Argument lautete, dass die Lebensmittelversorgung insbesondere Wiens, aber auch die von Graz, von der landwirtschaftlichen Produktion in Deutsch-Westungarn abhinge. Genaue Daten sind jedoch diesbezüglich nicht verfügbar. Ein genauerer Blick auf die ungarischen Ansprüche und sodann auf die Volksabstimmung zeigt auch, dass zwar das ländliche Umland um Ödenburg/Sopron sich an Wien orientierte, das Stadtbürgertum jedoch kulturell, aber auch wirtschaftlich Budapest und Ungarn als primären Bezugspunkt sah. Die Volksabstimmung brachte somit ein Ergebnis, das beide Seiten befriedigen konnte.Tamás Réti (Ungarische Akademie der Wissenschaften) folgte mit dem Beitrag Die sich verändernde Rolle des ausländischen Kapitals im Ungarn der Zwischenkriegszeit, wobei die Weltwirtschaftskrise 1929-32 die Zäsur von einem liberalen und marktwirtschaftlichen zu einem protektionistischen und interventionistischen Paradigma darstellte. Der Autor stellte dabei die Frage in den Raum, ob die Entwicklungen in Ungarn seit dem Jahr 2010 eine ähnliche Entwicklung nehmen.

Péter Krisztián Zachar (Kodolányi János Hochschule, Székesfehérvár) schließlich referierte zu Die Wirtschaftskammern in Ungarn in der Zwischenkriegszeit und der Versuch einer Neuorganisation nach der Wende. Die Frage nach der Pflichtmitgliedschaft, die lange nicht bestand, und der finanziellen Ausstattung zeigen an, dass noch kein eindeutiger Konsens über die Rolle der Kammern im Wirtschaftssystem nach der Wende besteht.

Das dritte Panel befasste sich mit der „Gegenwart, seit 1990“. Wolfgang Nitsche (Bundesministerium für Finanzen, Wien, und Verwaltungsrat in der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg) referierte zum Thema Der Prozess des Übergangs bis zum EU-Beitritt 2004. Nitsche gab in seiner Präsentation einepräzise Darstellung des seit 1989 andauernden Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft in Mittel- und Osteuropa. Dem Publikum lieferte er eine komparative Analyse zum Stand des Transformationsprozesses in den mittel- und osteuropäischen Ländern mit besonderer Berücksichtigung der makroökonomischen Daten bis zum EU-Beitritt.

Doris Hanzl-Weiss (Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche) sprach über Die Slowakei seit 1998. Hanzl-Weiss ging in ihrem Vortrag auf die Wirtschaftspolitik unter Mečiar, Dzurinda, Fico und Radičováein. Sie betonte, dass die Slowakei durch eineWirtschaftspolitik mit hohem Öffnungsgrad gekennzeichnet ist, die es dem Land ermöglichte, nach dem Krisenjahr 2009 wieder schnell einen Wachstumspfad einschlagen zu können. Die sich im Jahresverlauf 2011 verschlechternden wirtschaftlichen Aussichten und die Vertrauenskrise in den Euro-Ländern spiegeln sich jedoch auch in der aktuellen und mittelfristig erwarteten Entwicklung der slowakischen Volkswirtschaft wider.

Christopher Walsch (Andrássy Universität Budapest) betitelte sein Referat mit Ungeliebter ungarischer Kapitalismus. Er benannte längerfristige wirtschaftspolitische und kulturelle Ursachen, die unter einer Mehrheit von Ungarn das Unbehagen am Kapitalismus auslösen. So sind es die vergleichsweise guten Erfahrungen der Konsumenten mit dem Kádár-Sozialismus und die seit 1990 kontinuierlich geübte Praxis der Haushaltsdefizite und der Verschuldung, die im Ausgabenbereich zu einer Stop-and-Go-Politik führten, die der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes abträglich sind und zu Frustrationen in der Bevölkerung führen.

Das erste von zwei Schlussreferaten bestritt Tibor Palánkai (Ungarische Akademie der Wissenschaften) mit dem Beitrag Die europäische Integration der ungarischen Wirtschaft. In seinem datengesättigten Vortrag fand der Autor Evidenz, dass in den letzten Dekaden trotz der Transformationsrezession in den Jahren der Wende langfristig ein West-Ost-Konvergenzprozess stattfand. Viele Indikatoren weisen darauf hin, dass Ungarns Wirtschaft langsam von einer periphären oder halbperiphären Situation sich den industriellen Zentren Westmitteleuropas annähert. Den Abschluss machte János Gerendás, Hauptabteilungsleiter für wirtschaftliche Planung im Budapester Ministerium für Nationale Wirtschaft, zum Thema Gegenwärtige Herausforderungen der ungarischen Wirtschaft und Gesellschaft. Es war die Überzeugung des Referenten, dass die Verfassung der ungarischen Wirtschaft besser ist als ihr Ruf. Gleichzeitig verwies er jedoch auf die großen Herausforderungen, die zu bewältigen seien. Als Beispiel nannte er die Beschäftigungsquote, die in Ungarn deutlich unter dem EU-Durchschnitt liege und ein höherer Beschäftigungsanteil der aktiven Bevölkerung ein vorrangiges Ziel der Regierung sei.

Am Ende der Tagung ging der Dank an die drei Panelleiter Georg Kastner (erstes Panel), Zoltán Tibor Pallinger (zweites) und Ellen Bos (drittes), alle drei Professoren an der AUB, und an die großartigen Organisatorinnen, die die ‚unsichtbare’ Hintergrundarbeit leisteten. Das sind namentlich Tekla Juhász als Programmreferentin an der Fakultät Mitteleuropäische Studien und Tekla Gaál als Geschäftsführerin des Donau-Institutes. Schließlich danken die Organisatoren den finanziellen Unterstützern, dem Österreichischen Kultur-Forum Budapest und der Stiftung Aktion Österreich-Ungarn, die eine Tagung in diesem Format möglich machten.

Dr. Christopher Walsch, Senior Research Fellow, Organisator der Tagung und des Workshops „Wirtschaft und Wohlstand in Mitteleuropa im Vergleich. 1867 bis zur Gegenwart“, Andrássy-Universität Budapest, 18. bis 20. April 2012

Die Veranstaltung wurde durch TÁMOP-4.2.2/B-10/1-2010-0015 gefördert.

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