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Europäische Integration unter Stress: Ein Vergleich der Euro- und Flüchtlingskrise
Konrad-Adenauer-Vorlesung von Prof. Dr. Frank Schimmelfennig.

Am 2. November 2016 lud die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Zusammenarbeit mit der Andrássy Universität Budapest (AUB) zu einem Vortrag über aktuelle Probleme der europäischen Integration ein. Vor rund 80 Zuhörern legte der Referent Prof. Dr. Frank Schimmelfennig dar, weshalb aus seiner Sicht die tiefere Integration in Europa stagniere. Dabei konzentrierte er sich insbesondere auf den Vergleich von Eurokrise und Flüchtlingskrise sowie auf die Frage, warum auf die Eurokrise eine vertiefte Integration, auf die Flüchtlingskrise jedoch Symptome einer Desintegration gefolgt seien.

Prof. Dr. András Masát, Rektor der AUB, unterstrich in seiner Begrüßungsrede den Aktualitätsbezug der europäischen Integration in Zeiten der globalen Flüchtlingskrise als stark polarisierendes Thema. Ziel müsse es sein, dynamische Lösungen jenseits von statischen Konventionen zu finden. Hierbei sei die Zusammengehörigkeit auf Basis von nationalen Einheiten von zentraler Bedeutung. Frank Spengler, Leiter des Budapester Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung, beschrieb die umfangreiche europäische Zusammenarbeit als Reaktion auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Diesbezüglich stellte er die Frage, ob die Überwindung der Gegensätze durch gemeinsames Handeln oder durch einen gänzlichen Neuanfang bewerkstelligt werden sollte?

Anschließend referierte Prof. Dr. Schimmelfennig, Inhaber der Professur für Europäische Politik im Departement für Geistes-, Sozial und Staatswissenschaften an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, zu seinen Forschungsergebnissen. Er wolle einen nüchternen Blick auf die Krisen der Europäischen Unionen wagen, indem er insbesondere auf deren Entstehungskontext sowie auf die Auswirkungen für die EU eingehe. Sein Untersuchungsansatz äußerte sich in der These, dass die „Flaggschiffprojekte“ der EU aus den 1990er Jahren, die sich in der Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen und einer einheitlichen Währung manifestierten, in die Krise geraten seien. Dies stelle eine Herausforderung für Politik und Wissenschaft dar. Ursprünglich sei der Begriff der europäischen Integration ausschließlich positiv interpretiert worden, gegenwärtig artikulierten sich jedoch vermehrt Gegenkräfte, die ein negatives Verständnis begünstigen. Seine Krisenanalyse solle für diesen Sachverhalt ein Erklärungsmodell bereitstellen.

Hierbei unterschied Schimmelfennig zwischen neofunktionalistischen und postfunktionalistischen Ansätzen. Ersterer beschreibe „gute Krisen“, die durch endogene Interdependenzen und supranationale Kapazitäten gefördert werden. Diese sollen für eine neue, verbesserte Integration durch Pfadabhängigkeiten sorgen und durch einen positiven Rückkopplungsprozess die Basis für neue Integrationsformen bilden. Die postfunktionalistische Sicht wiederum beleuchte unter anderem die Selbstbestimmungskosten von Integration, die eine Politisierung und Polarisierung bedingen, in denen lediglich eine mangelhafte Integration erreicht werden könne.

Am Beispiel der Euro- und Flüchtlingskrise würden sich ähnliche Anfänge und Strukturen, jedoch unterschiedliche Folgewirkungen veranschaulichen lassen. Beiden Krisen würden ein exogener Schock und ein Regimeversagen vorausgehen, die eigentlich hätten beseitigt werden sollen. Im Falle der Eurokrise liege ein fiskalische, bei der Flüchtlingskrise eine geographische Position vor, mit einem nahezu gleich hohen Maß an Politisierung. Folglich würden sich Ursachen vorrangig in unterschiedlichen Pfadabhängigkeiten manifestieren, nicht im Grad der Politisierung. Anhand der Faktoren der unterschiedlichen Interdependenzen, der prohibitiven bzw. tragbaren Ausstiegskosten sowie der ungleichen supranationalen Kapazitäten verdeutlichte Schimmelpfennig seine Konklusion, dass die Überwindung der Eurokrise zu einem Integrationsschub geführt habe, die Flüchtlingskrise hingegen (bislang) Stagnation und Externalisierung zur Folge gehabt habe.

Alles in allem, so der Referent des Abends, würden sich die Krisenursachen in hochpolitisierten Verteilungskonflikten manifestieren, die durch exogene Schocks ausgelöst worden seien und Integrationsdefizite aufzeigen würden. Es erhebe sich die Frage nach kooperativen Lösungsformen, denen Kollektivität, Solidarität und Vertrauen zu Grunde liegen. Dies könne durch eine Pattsituation erzeugt werden, bei der fehlende Kooperationen kostenintensiver seien, als der Ansatz zum gemeinschaftlichen Konsens. So sei bezüglich der Eurokrise von einer ausgeprägten kritischen Interdependenz, im Falle der Flüchtlingskrise jedoch – bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt – von einer unterkritischen Interdependenz zu sprechen.

Text: Bálint Lengyel

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