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Die ungarische Revolution 1956 - 60 Jahre danach
Konferenz vom 20. bis 22. September 2016 an der AUB

Die Keynote am ersten Konferenztag hielt Erwin Schmidl (Landesverteidigungsakademie Wien), der die Bedeutung des Ungarnaufstandes 1956 für Österreich und die Welt verortete. Grundsätzlich, so Schmidl, habe man in Österreich dem „Freiheitskampf“ der Ungarn überaus positiv gegenübergestanden, was auch die Basis für die spätere, anfänglich überaus freundliche Aufnahme der Flüchtlinge gelegt habe. Gleichzeitig habe jedoch auch die Befürchtung geherrscht, die russische Intervention könnte sich auch auf Teile Österreichs ausdehnen, weshalb man sich zur sofortigen Aufbietung des neu gegründeten Bundesheers und der Gendarmerie zur Grenzsicherung entschlossen habe. Wiewohl diese entschiedene Haltung national wie international überaus positiv zur Kenntnis genommen worden wäre, sei es jedoch im Zuge des Einsatzes zu zahlreichen Reibungen zwischen den militärischen und politischen Befehlsstellen gekommen, was ein lange anhaltendes Misstrauen zwischen Politik und Militär in Österreich zur Folge gehabt habe. Was den Aufstand betrifft legte Schmidl dar, das die erste Intervention Moskaus Ende Oktober maßgeblich dazu beigetragen habe, die Lage eskalieren zu lassen, was wiederum die zweite, durchschlagende Intervention Moskaus verursacht habe. Die in Folge losbrechende Massenfluchtbewegung sei nicht zuletzt deshalb erfolgreich gewesen, da Ungarn im Laufe des Jahres 1956 seine Minensperren an der Grenze in Folge von Zeitschäden abgebaut habe und die grüne Grenze somit gangbar gewesen sei. Letztlich, so Schmidl, hätten die Ereignisse des Jahres 1956 in Ungarn wesentlich dazu beigetragen das Negativbild des Kommunismus in den westlichen Demokratien zu verstärken, was auch die dort tätigen kommunistischen Parteien erheblich diskreditiert habe. Für Österreich habe sich im Jahr 1956 die Möglichkeit geboten, einen eigenständigen Kurs zu fahren, was insbesondere in den USA und in Großbritannien mit Wohlwollen betrachtet worden wäre. Spätestens im Zuge der Libanon-Krise 1958 habe jedoch die Sowjetunion Wien gegenüber klargestellt, dass der außenpolitische Spielraum des Landes trotz seines Neutralitätsstatus nicht unbegrenzt sei.

Ausgehend von dieser Einführung erfolgte im Rahmen der Konferenz ein Vertiefung der angerissenen Themen durch Spezialvorträge. Den ersten Vortag des zweiten Konferenztags hielt Thomas Reichl (Militärhistorisches Institut Wien). Er sprach über den Einsatz des 1956 gerade frisch aufgestellten Bundesheeres – einige Soldaten waren erst Tage vorher eingezogen worden – an der österreichisch-ungarischen Grenze. Grund für den Sicherungseinsatz sei die Befürchtung gewesen, dass die heranmarschierenden sowjetischen Truppen nicht an der Staatsgrenze halt machen würden, was jedoch letztlich nicht eingetreten sei. Dieser erste Einsatz der neuen Truppe sei noch von zahlreichen Improvisationen und Problemen gekennzeichnet gewesen, wie z. B. Überschneidungen bei der Befehlsgewalt, insgesamt jedoch demonstrierte das Bundesheer Verteidigungsbereitschaft und bestand somit seine erste Bewährungsprobe.

Maximilian Graf (Universität Wien) untersuchte in seinem Beitrag die österreichisch-ungarischen Beziehungen in dem Jahrzehnt nach dem Aufstand. Diese hätten sich nach der Niederschlagung desselben an einem Tiefpunkt befunden, den man zunächst nicht überwinden haben könne. Insbesondere problematisch seien die Minen auf der ungarischen Seite der Grenze gewesen, die immer wieder auch in Österreich detonierten und für diplomatische Verstimmung gesorgt hätten. Erst durch einen Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Klaus in Budapest 1967 habe der sukzessive Abbau dieser Minen besprochen werden können, womit sich auch die bilateralen Beziehungen schließlich erholen haben können.

Mit dem Vortrag von Peter Ruggenthaler (Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz) folgte der fließende Wechsel von den österreichisch-ungarischen Beziehungen hin zur internationalen Perspektive. Ruggenthaler stellte fest, dass die Neutralität Österreichs aus Sicht des Kremls lange eine latente Gefahr für den Ostblock dargestellt habe, da Staaten wie Ungarn geglaubt hätten, diese Option würde ihnen ebenfalls offenstehen. Dass Österreich von Seiten der Sowjetführung dieser Status zuerkannt worden sei, habe nicht zuletzt wirtschaftliche Gründe gehabt, für Ungarn sei dieses Model jedoch für den Kreml in Wahrheit niemals in Frage gekommen.

Auch für kommunistische Parteien außerhalb des „Ostblocks“ habe das Jahr 1956 ein einschneidendes Ereignis dargestellt, wie der Vortrag von Karlo Ruzicic-Kessler am Beispiel der italienischen KP zeigte. Er führte drei Faktoren an, die hier zu einem Paradigmenwechsel geführt hätten: Die Veröffentlichung der Geheimrede Chruschtschows auf dem 20. Parteitag bezüglich Stalins Verbrechen; die Arbeiterproteste in Posen; und natürlich der Ungarnaufstand. In Folge habe sich die italienische KP trotz anfänglicher Moskautreue auf einen eigenen Weg zubewegt, was eine langfristige Wirkung auf die Herausbildung des Eurokommunismus gehabt habe.

Georg Kastner (Andrássy Universität Budapest) behandelte in seinem Beitrag die Rolle der UNO während des Ungarnaufstands, wobei er Kritik an dem weit verbreiteten Bild der „untätigen“ Vereinten Nationen übte. Tatsächliche handele es sich, so Kastner, um ein Thema von extremer Komplexität, nicht zuletzt, da außer dem Nahostkonflikt wenig die UNO so lange politisch beschäftigt habe wie der Ungarnaufstand. Seinen Recherchen zufolge habe die UNO Ungarn keineswegs im Stich gelassen und habe die Angelegenheiten auch nicht genutzt, um „dem Osten eins auszuwischen“. Innerhalb ihrer Möglichkeit habe die UNO tatsächlich durchaus etwas bewirkt, beispielsweise für die inhaftierten Revolutionäre.

Den nächsten Vortrag hielt Andra-Octavia Drăghiciu, die vor kurzem ihre Dissertation über Jugendkulturen in der Sozialistischen Rumänischen Republik verteidigt hat und über die Reaktion des rumänischen Studentenmilieus auf den Aufstand 1956 referierte. Bereits im Vorfeld zum Aufstand in Ungarn sei es in den Universitätsstädten nach dem Tod Stalins zunächst zu einer Liberalisierung gekommen, im Jahr 1956 aber auch zu Protesten aus internen Gründen. Die Studentenbewegung habe ein Entgegenkommen seitens der Staatsführung erreicht, was einige ihrer Forderungen betraf: diese habe jedoch aufgrund staatlicher Repression und mangelndem Rückhalt in der Bevölkerung keine nachhaltige Wirkung entfalten können.

Rätselhaft, so Arnold Suppan (Universität Wien), sei die Reaktion Titos in Jugoslawien auf die Vorgänge in Ungarn gewesen, nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Quellenlage - der langjährige Untergrundkämpfer habe seine Gespräche selten protokollieren lassen. Aufzeichnungen gebe es jedoch über ein spezielles Treffen zwischen dem jugoslawischen Staatschef und Chruschtschow Anfang November 1956, als der Aufstand in Budapest in vollem Gange gewesen sei. Der anwesende jugoslawische Botschafter habe sich nach dem Treffen Notizen gemacht, aus denen unter anderem hervorgehe, dass Tito die Moskauer davon überzeugt habe, Kádár in Budapest einzusetzen. Noch auf dem Rückflug von Belgrad dürfte Chruschtschow den Einmarsch in Ungarn befohlen haben.

Radomir Sztwiertnia (Universität Olomouc) ging in seinem Vortrag der interessanten Frage noch, wieso die Akteure des Prager Frühlings 1968 nichts aus dem ungarischen Aufstand gelernt hätten, und wieso es zu keinen Gewaltexzessen gekommen sei. Der Grund dafür sei gewesen, dass nach schlechten Zeiten zu Beginn der 1950er, die Bevölkerung der Tschechoslowakei 1956 im Vergleich zu den benachbarten Ländern sogar in relativem Wohlstand gelebt habe. Zudem sei es der Regierung durch ihre weitgehende Kontrolle der Medienlandschaft gelungen, ein Bild vom Ungarnaufstand zu vermitteln, dem zufolge am Ende der Revolution der Sieg der ungarischen Arbeiter über die Konterrevolution gelungen sei.

Matthias Marschik (Wiener Universität für angewandte Kunst) berichtete von der Rezeption ungarischer Fußballer in Wien nach dem Volksaufstand von 1956. Diese hätten eine durchaus ambivalente Behandlung durch die österreichischen Medien erfahren, welche sie zunächst als Opfer des Kommunismus darstellt habe, jedoch später suggeriert habe, dass es sich um „undankbare Schnorrer“ gehandelt habe.

Der stellvertretende Direktor des Ungarischen Nationalarchivs Csaba Szabó legte in seinem Vortrag die Rolle der Kirche in Ungarn 1956 dar. Insbesondere das in weiterer Folge auch mit Österreich verknüpfte, im Jahr 1956 überaus bewegende Schicksal von József Kardinal Mindszenty wurde dadurch in Erinnerung gerufen.

Den letzten Vortrag des Abends hielt Maria Fanta (Universität Graz). Sie sprach über die Berichterstattung der „Österreichischem Volksstimme“, der Zeitung der Kommunistischen Partei Österreichs, zum Ungarnaufstand 1956. Dieses autoritär geführte Blatt sei streng der Linie des Zentralkomitees der Partei gefolgt. In Bezug auf den Ungarnaufstand habe es keine unabhängige Berichterstattung erlaubt, sondern habe sich, mit Ausnahme der Berichte eines Reporters, nach den Darstellungen aus Moskau gerichtet und habe sich durch unwahre Berichterstattung wie auch durch Schwarz-Weiß-Denken ausgezeichnet.

Die Konferenz wurde am dritten Tag mit einem Panel zur heute wieder aktuellen Frage der Fluchtbewegungen fortgesetzt. Einleitend analysierte Ibolya Murber (Andrássy Universität Budapest) den Umgang Österreichs mit den Flüchtlingen die im Gefolge der Niederschlagung des Aufstandes aus Ungarn geflüchtet seien. Kenntnisreich berichtete sie über die Problematik exakte Zahlen zu nennen, die Aufnahmesituation in Österreich und den sich verändernden medialen Diskurs über die Flüchtenden. Dies beträfe insbesondere jene, die nicht weiterwandern würden und Österreich als ihre neue Heimat betrachten würden.

Edda Engelke vertiefte in ihrem Vortrag zu den Ungarnflüchtlingen in der Steiermark insbesondere die Frage der Aufnahme (Versorgung und Unterbringung) und in weiterer Folge der Integration. Ausgehend von diesem historischen Beispiel verwies sie auf zahlreiche positive Erfahrungen die auch in der Gegenwart von Nutzen sein könnten.

Im abschließenden Vortrag des Panels ging Andreas Schmidt-Schweizer (Institut für Geschichtswissenschaften des Zentrums für Humanwissenschaften der Ungarischen Akademie der Wissenschaften) auf die Aufnahme und Integration der Ungarnflüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland 1956/57 ein und eröffnete somit eine Vergleichsperspektive. Rund 14.000 Ungarn seien als Flüchtlinge in der Bundesrepublik aufgenommen worden. Ihre Integration sei weitestgehend gut gelungen, was u. a. darauf zurückzuführen sei, dass ihre Zahl relativ gering gewesen und die wirtschaftliche Lage gut gewesen sei. Darüber hinaus sei den Flüchtlingen wie in Österreich durch einen antikommunistischen Grundkonsens Sympathie entgegengebracht worden, ihr Integrationswille sei hoch gewesen und man habe einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund geteilt.

Michael Gehler fasste sämtliche Vorträge der Konferenz abschließend kurz zusammen und stellte Verbindungslinien zwischen den einzelnen Beiträgen her. Er würdigte das Anliegen der Konferenz, nicht die Ereignisgeschichte des Jahres 1956 in Ungarn und Österreich nachzuzeichnen, sondern ebendiese im internationalen Kontext sowie auch im größeren zeitlichen Kontext zu verorten. Eine Neuverhandlung des bisherigen Forschungsstandes und neue Perspektiven auf 1956 seien Merkmal und Stärke der Konferenz gewesen, die deutlich gezeigt habe, dass die Forschungen zu Ungarn 1956 keineswegs am Ende angekommen seien.

Text: Lukas Knopp

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