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Der Hamilton-Moment Europas?
Internationales Seminar zum Europarecht: Die Teilnehmenden der Andrássy Universität Budapest, der Masaryk-Universität Brünn und der Universität Wien diskutierten die finanzrechtliche Neugestaltung der EU nach der Covid-Krise.

Das von Dr. Attila Vincze und seinen Kollegen aus Brünn und Wien ins Leben gerufene internationale Seminar zum Europarecht fand am 17. November 2021 zum zweiten Mal statt. Zur diesmal eintägigen Seminarveranstaltung mussten sich jedoch auch in diesem Jahr die Lehrenden und Studierenden in digitaler Form zusammenfinden. Auch der Bezug zur Covid-19-Pandemie war wieder gegeben. Diesmal war der Blick jedoch gen Zukunft auf die finanzrechtliche Neugestaltung der Europäischen Union nach der Epidemie gerichtet – als „optimistischer Ansatz“, wie Vincze bekannt gab. Der „Hamilton-Moment“ im Veranstaltungstitel spielt dabei auf den kontrovers diskutierten Vergleich des deutschen Bundesfinanzministers Olaf Scholz an, der die Aufnahme von Schulden durch die EU zur Bewältigung der Covid-Krise mit dem Hamilton-Moment der USA verglich. Damals hatte der erste Finanzminister und Gründervater der USA, Alexander Hamilton, mit seinem Vorschlag erreicht, dass die neu gegründeten Vereinigten Staaten von Amerika gemeinsam Schulden der einzelnen Bundesstaaten übernehmen - einem wichtigen Schritt zum Bundesstaat.

Nach der Eröffnung der Veranstaltung durch Vincze folgten Grußworte der Lehrenden von Prof. Dr. Thomas Jaeger von der Universität Wien sowie von Filip Křepelka von der Masaryk-Universität Brünn.

Als ausgewiesener Experte auf dem Gebiet des Europäischen Finanzrechts hielt Prof. Dr. Ulrich Hufeld (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg), der auch an der AUB lehrt, einen ins Thema einführenden Vortrag. Er beleuchtete, an den Titel anknüpfend, den Hamilton-Moment „als Machtfrage des Föderalismus“. Die Frage, ob die Ermächtigung, Schulden aufzunehmen, zu mehr Zentralisierung und Vergemeinschaftung der EU führe, beantwortete er damit, dass die Grundlage hierfür (Art. 5 des Eigenmittelbeschlusses) eine „brennende Kerze“ sei. Das bedeute, dass die EU eben keinen zur allgemeinen Disposition stehenden Kreditmittelrahmen erhalten habe, sondern diese einmalige Kreditermächtigung erschöpflich sei. Keine „Finanzmacht“ sei vermittelt worden, sondern lediglich „Finanzkraft“, eine einmalige Ermächtigung. Wie die Europäische Kommission veranschlagt hat, werden für die Rückzahlung zwischen 2028 und 2058 werden jährlich 15 Mrd. Euro nötig sein. Hierfür müsse die EU mit neuen Eigenmitteln ausgestattet werden, wenn nicht der gesamte EU-Haushalt für mehrere Jahrzehnte drastisch gekürzt werden soll. Und darin liege „ein Stück weit das Föderalisierende“, das Scholz gemeint habe.

Nach weiteren Ausführungen zur politisierenden Wirkung sowie zur juristischen Gestaltung dieses „Hamilton-Moments“ öffnete Hufeld die Bühne für die Diskussion.

Der weitere Ablauf bestand dann aus Vorträgen der Teilnehmenden zu verschiedenen Aspekten des Themas. 

Der erste Themenblock handelte von den Grundlagen der bestehenden Finanzverfassung der EU. Die Teilnehmenden skizzierten die Grundlagen der Wirtschafts- und Währungsunion und stellten dabei den Antagonismus zwischen dem finanziellen Eigenverantwortungsprinzip und dem Solidaritätsprinzip heraus. Laut Jaeger sei dies auch besonders typisch für „Bundesstaatssysteme“.

Den Themenschwerpunkt rundeten Vorträge über die Konkurrenz von Eigenverantwortung und Solidarität am Beispiel des Bail-out-Verbots, über vorhandene Solidaritätselemente im europäischen Haushaltssystem (wie beispielsweise der Kohäsionsfonds) sowie über Entwicklung und primär, sekundär- und völkerrechtlichen Normen der Haushaltsüberwachung ab.

Alle nachfolgenden Vorträge wurden unter dem Schwerpunkt „Zukunft und Reform“ zusammengefasst. Zunächst wurde das Aufbau-Instrument „NextGenerationEU“ (NGEU) näher vorgestellt, ebenso die Frage der Kreditaufnahme durch „Coronabonds“ (EU-Anleihen). Während der anschließenden Fragen stellte sich heraus, dass es sich, wie Hufeld bereits in der Einführung betonte, nicht um bahnbrechende Systemänderungen handle. NGEU sei jedoch mehr als nur ein Krisen-, sondern auch ein wirtschaftspolitisches Instrument.

In einigen juristischen Streitfällen ist noch immer fraglich, wer das letzte Wort hat: der Europäische Gerichtshof oder die jeweiligen obersten Gerichte der Mitgliedstaaten. Die Kernfragen im Streit zwischen dem EuGH und deutschem Bundesverfassungsgericht um das Staatsanleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (Public Sector Purchase Programme – PSPP) erläuterte ein Teilnehmer aus Budapest. Er kam zu dem Schluss, dass der Zwist um den Anwendungsvorrang juristisch kaum lösbar sei. Vielmehr könne es hilfreich sein, andere Dialogformen zwischen den Gerichten zu etablieren. Mit „sturer Dogmatik auf beiden Seiten“ komme man da nicht weiter.

Einen politischen Ausblick auf Veränderungen in der EU brachte ein Teilnehmer mit seinem Vortrag zum EU-Haushalt und der Konferenz zur Zukunft Europas ein.  Die anschließende Diskussion gab jedoch ein eher pessimistisches Bild über deren Auswirkungen ab, da eine von der Konferenz angestoßene Reform des Europäischen Primärrechts mehr als unwahrscheinlich sei.

Als konkretes Politikfeld wurde im nachfolgenden Vortrag die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) behandelt. Ihre Geschichte, die jeweiligen Reformetappen sowie einen Zukunftsausblick gab eine Doktorandin aus Brünn, die mit ihrem familiären sowie akademischen Hintergrund beide Seiten der Debatte, Praxis und Theorie, näherbringen konnte. Die Diskussion ergab, dass es äußerst schwierig sei, eine EU-Politik umfassend zu reformieren und dass gerade hinter der GAP eine große Lobby stehe.

Über den EU-Haushalt und den European Green Deal und im Konkreten die Klimaziele der EU bis 2030 bzw. 2050 referierten zwei Vortragende aus Brünn. Grüne Themen und Nachhaltigkeit spielen auch beim Wiederaufbaufonds der EU eine große Rolle, die Chance solle genutzt werden, um die Klimaziele besser zu erreichen.

Die besonders von Polen und Ungarn kritisierte allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union und den Schutz der Rechtsstaatlichkeit skizzierte eine Studierende der AUB.

Der abschließende Vortrag griff die Themen Flexibilisierung und Standortwettbewerb in Bezug auf Beihilfen als Instrument globalen Wettbewerbs auf. Der Studierende wies hierbei noch einmal auf die Grundzüge des Europäischen Beihilfenrechts hin und stellte dabei die Frage nach wettbewerbsverzerrenden Wirkungen von den im Zuge der Pandemie gewährten Beihilfen. Dabei stellte er u. a. die These auf, dass die reicheren Mitgliedstaaten der EU in der Krise bereits finanziell bessere Startvoraussetzungen gehabt hätten und leichter an Beihilfen gelangt seien, während die ärmeren Mitgliedstaaten die rechtlichen Möglichkeiten nicht voll hätten ausschöpfen können.

Während seiner Schlussworte stellte Vincze dann heraus, dass er immer noch hoffe, im nächsten Jahr das Seminar einmal mit einem gemeinsamen Abendessen ausklingen zu lassen. Auch in diesem Jahr hätte die Hanns-Seidel-Stiftung ein Budget zur Verfügung gestellt.

Jaeger bedankte sich ebenfalls herzlich bei den Teilnehmenden für die spannenden Vorträge und bei Vincze für die Organisation des Seminars. Křepelka seinerseits hoffe sehr auf ein physisches Treffen zum nächsten Seminar. Weil Vincze, bis zum Sommer noch Privatdozent an der Andrássy Universität, selbst nach Brünn gewechselt hat, überlässt er es der AUB, ob sie weiterhin Teil des Seminars bleiben möchte. Er wäre darüber jedenfalls sehr erfreut.

Schilan STACH

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